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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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unterste Stufe. »Ich schäme mich«, sagte er noch einmal und ging vorsichtig an Paula vorbei. Mit hängenden Schultern verließ er die Scheune, und als Paula ihm hinterherblickte, hatte sie neben Wut, Hass und Rachegelüsten auch noch ein anderes Gefühl für ihren Ehemann übrig: Sie hatte Mitleid.
    Noch ein paar Wochen zuvor hatte sie ihn verhaften und verurteilen lassen wollen und im Gespräch mit Gertrud Gift und Galle gespuckt, als diese ihr geraten hatte, alles unter den Teppich zu kehren.
    »Sprich mit niemandem darüber«, hatte Gertrud ihr geraten. Aber einfach Stillschweigen zu bewahren, das war nicht ihr Ding, und darüber hatte sich ein heftiger Streit zwischen ihnen entsponnen.
    »Ich will, dass er bestraft wird. Er soll leiden für das, was er mir antut.«

    »Lass es«, hatte Gertrud beharrt. »Am Ende wirst du diejenige sein, die leidet. Sie werden Fragen stellen, die du nicht beantworten willst. Und das Ansehen unserer ganzen Familie besudelst du gleich mit.«
    »Aber warum sollten sich die Leute gegen mich wenden? Ich bin es doch, die zu bedauern ist! Es ist schließlich nicht meine Schuld, wenn mein Mann pervers wird!«
    »Die anderen Männer werden dich dafür verantwortlich machen.« Gertrud hatte sich weise gegeben und Paula befürchtet, dass sie recht behalten könnte. »Der Schmutz dieser Affäre wird für immer an dir kleben bleiben. Tu, was ich dir sage: Bleib bei ihm und lebe mit ihm, so gut du kannst. Vergiss, was passiert ist.«
    Paula war wie vom Donner gerührt gewesen. Konnte es wirklich sein, dass man ihr vorwerfen würde, sie habe keine gute Ehe geführt, fragte sie sich seitdem. Womöglich würde man ihr unterstellen, sie sei frigide und ihr Mann habe gar nicht anders gekonnt, als sich aus lauter Verzweiflung auf das nächstbeste Wesen zu stürzen, das zufällig ein Mann und dazu noch ihr Cousin gewesen war. Das wäre ja absurd. Aber was, wenn Männer wirklich so dachten? War es nicht so, dass dem Vernehmen nach die Frauen immer an allem die Schuld trugen? Ob die Männer fremdgingen oder nur in der Kneipe hockten, für alles wurden die Ehefrauen verantwortlich gemacht. Und so dachten nicht nur die Männer. Was, wenn sogar ihre nunmehr verwitwete Cousine den Fehler bei ihr vermutete? Immerhin müsste Ria dann das Versagen nicht bei sich selbst suchen. All diese Fragen hatte Gertrud schon vor Wochen aufgeworfen, aber Paula hatte nicht sofort klein beigeben wollen.
    »Ich will ihn nie mehr wiedersehen. Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass ich so tue, als wäre nichts gewesen. Ich will, dass mein Mann mich liebt und nicht meinen Cousin.Wer weiß, wen er noch alles angefasst hat in der Familie. Der muss aus dem Verkehr gezogen werden.«
    »Willst du, dass er ins Gefängnis geht?«
    »Das ist mir egal, meinetwegen soll er im Knast verrecken.« Paula empfand Ekel vor sich selbst bei der Vorstellung, dass sie über Jahrzehnte das Bett mit einem Mann geteilt hatte, der einen anderen Mann begehrte. Vermutlich musste man diese Männer ebenso trennen wie Tiere, mit einem Eimer Eiswasser und einem kräftigen Tritt.
    »Du wirst ein Verfahren aushalten müssen, wenn du ihn anzeigst«, hatte Gertrud zu bedenken gegeben. »Du und deine Kinder. Man wird dich zwingen, die intimsten Fragen zu beantworten. Willst du einem Advokaten beantworten, warum du in dreißig Ehejahren nichts von den Vorlieben deines Ehemanns gemerkt hast? Nein. Das ist unter deiner Würde. Und deshalb verbiete ich dir, den Mund aufzumachen. Zu deinem eigenen Schutz. Und zu dem unserer Familie!«
    Darauf hatte Paula nichts mehr erwidert.
    Jetzt stand sie in der alten Familienscheune und war sich sicher, dass Gertrud recht hatte. Sie war bitter enttäuscht von Alfred. Nie hätte sie gedacht, dass er sie so hintergehen würde. Sie waren doch ein harmonisches Paar gewesen, hatten sich geachtet und unterstützt, so war es ihr zumindest vorgekommen, und sie hatten sich gut verstanden. Viel besser, als man es von manch anderen Eheleuten hörte. Doch nichts davon war wahrhaftig gewesen, und das war es, was sie am meisten verletzte. Dennoch musste sie zugeben, dass ihr die Vorstellung, ihre Enttäuschung vor fremden Menschen ausbreiten zu müssen, in Wahrheit zuwider war. Sie blickte auf den Strick, mit dem Alfred sich hatte aufhängen wollen. Ein Teil von ihr sann auf Rache, Alfred hatte sie verletzt und blamiert, und sie hatte den Eindruck, sie müsste ihre Wut öffentlich machen, um nicht verdächtigt zu werden, Alfreds

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