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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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in das gemeinsame Schlafzimmer gerannt, hatte aus der untersten Schublade des Schrankes eine alte Militärpistole geholt und sich in den Kopf geschossen. Kaum eine Minute nach dem peinlichen Vorfall hatte er ein Ungeborenes zum Waisenkind gemacht.
    Ria war eine einfache, gottesfürchtige Frau. Als sie aus der Ohnmacht erwachte, beichtete sie erst Paula und von Stund an täglich dem Pfarrer, was sie gesehen hatte. Mit niemand anderem sprach sie darüber. Dem Vernehmen nach verstarb Peter, weil er stolperte und unglücklich in eine Heckenschere gefallen sein musste. Man habe ihn verblutet im Gewächshaus gefunden, selbst für die letzte Ölung sei es zu spät gewesen.
    Wenn es nach Ria gegangen wäre, hätte wohl so schnell wie möglich Gras über die Geschichte wachsen können, vermutete Paula, schneller als der Bodendecker auf Peters Grab. Jedenfalls hatte sie ihr gegenüber seitdem keine Silbe mehr über die Geschichte verloren.
    Den Augenblick des Affekts zum Selbstmord zu nutzen wie Peter, das hatte Alfred verpasst. Und geplant wollte ihm das Ganze wohl nicht so recht gelingen. Sie hatte seit diesem Vorfall nicht mehr mit Alfred gesprochen, sie hatte ihn immer nur angeschrien und beschimpft. Vielleicht sollte ich mich ein wenig zusammenreißen, dachte Paula, so kommen wir ja auch nicht weiter. Dann nahm sie den Strick, klappte die Leiter zusammen und stellte sie zurück an die Wand. Es muss ja nicht jeder gleich merken, was hier los ist, entschied sie und verließ die Scheune.

Der 100. Geburtstag – Freitag
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    »Komm, lasst uns das Kränzen noch ein bisschen bekakeln!« Katty war wieder ins Platt verfallen. Die meisten Nachbarn waren inzwischen gegangen, nur der Pfarrer und der Schmied waren noch übrig geblieben und wurden von Katty ins Haus gebeten. Es war schon spät am Abend und eigentlich war Paula müde, aber sie hätte es unhöflich gefunden, jetzt ins Bett zu gehen. Schlafen kannst du, wenn du tot bist, sagte sie sich. Ein Spruch, den sie früher oft gehört hatte und der ihr mittlerweile ein bisschen schwerer über die Lippen ging. Mit achtundneunzig Jahren war der ewige Schlaf schon ganz schön nah. Umso mehr sollte man die letzten wachen Momente doch nutzen, beschloss sie und folgte den anderen ins Wohnzimmer. Ihre Schwester konnte bei Festivitäten nur schlecht ein Ende finden, und der sogenannte Absacker, der mit den allerletzten Gästen getrunken wurde, gehörte für sie zu einem festen Ritual, ohne das sie vermutlich nicht ruhig schlafen konnte. Katty brauchte stets umgehend die Bestätigung, dass ihr Fest gelungen war, und Paula wollte ihr den Gefallen heute gerne tun.
    »Was für ein schöner Abend«, eröffnete sie deshalb das Gespräch, »es ist wirklich rührend, wie sich die Nachbarn um Gertrud bemühen.«

    »Es waren ja wirklich alle Nachbarn vertreten«, nickte Katty stolz. »Selbst die Kinder sind mitgekommen. Ich finde, das ist enorm, wo sie doch mit uns Alten eigentlich gar nichts mehr zu tun haben.« Sie hat tatsächlich das Erbe Heinrich Hegmanns angetreten, dachte Paula zum wiederholten Male. Nicht nur den Hof, sondern auch die Rolle als zentrale Person des Dorfes hatte sie geerbt. Und sie warb, genau wie der Politiker früher, vor allem um die junge Generation.
    »Du bist ja auch die Mutter der Kompanie, Katty«, bestätigte der junge Schmied Paulas Gedanken.
    »Danke dir, aber ich glaube, die älteren Nachbarn sind bis heute noch Heinrich Hegmann verbunden. Ihr dürft nicht vergessen, was er alles für Wardt getan hat.«
    Paula unterdrückte nur mühsam ein Gähnen. Sie hoffte, dass Katty jetzt nicht alle Taten und Verdienste aufzählen würde. Die meisten kannte sie aus dem Effeff, und sie empfand Kattys übertriebene Lobeshymnen als einschläfernd. Ihre Hoffnung war vergeblich und Katty schon mittendrin in ihren Erzählungen, denn in dem erst etwa dreißig Jahre alten Schmied hatte sie einen dankbaren Zuhörer für Heinrichs Heldentaten gefunden.
    »Weißt du, dass die Familien so selbstverständlich miteinander trinken, das hätte ja direkt nach dem Krieg keiner für möglich gehalten. Damals waren viele Familien verfeindet bis aufs Blut. Du bist zu jung, um das zu wissen, aber deine Eltern könnten dir eine Menge darüber erzählen.«
    »Hier in Wardt gab es verfeindete Familien?«, staunte Heinz zu Kattys großer Freude und selbst Paula musste sich eingestehen, dass ihre Schwester es verstand, Neugier zu wecken. Dann erzählte Katty, wie sehr Wardt durch den

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