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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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band diesen ins Tannengrün.
    Die Nachbarn hatten sich viel vorgenommen, sie mussten bestimmt dreißig Meter Kranz flechten, der Schmuck sollte nämlich das gesamte Eingangsportal einrahmen. Ihre kleine Schwester ließ das Schnapstablett eifrig kreisen. Paula kniff die Augen zusammen in der Hoffnung, besser sehen zu können. Katty sah ja aus, als wäre Karneval, stellte sie mit kritischem Blick fest. Mollig war sie geworden, fand sie und überlegte, dassKatty in ihrem Alter vielleicht besser auf Hosen verzichten sollte. Sie beobachtete ihre Schwester, wie sie auf der Tenne herumwirbelte. Sie knuffte dort eine junge Frau liebevoll in die Seite und machte Scherze, dann ging sie ein paar Meter weiter in die Scheune, wo die Männer aus dem Grün den Kranz herstellten. Paula folgte ihr, um auch die Männer zu begrüßen. Sie hörte das heisere Lachen ihrer Schwester, die inzwischen, wie so oft, wenn sie mit den Nachbarn zusammen war, ins Plattdeutsche verfallen war. Es war für sie ein Zeichen der Zugehörigkeit, hatte sie Paula einmal erklärt. Paula selbst lehnte das niederrheinische Idiom ab. Als Lehrerin hatte sie peinlich genau darauf geachtet, bestes Hochdeutsch zu sprechen. Aber sie verstand natürlich, was Katty sagte. »Du bis enne Prootsack«, hörte sie ihre Schwester gerade schimpfen.
    »Wie sprichst du denn mit unseren Gästen?«, tadelte Paula und lächelte in die Runde.
    »Ich soll mal wieder unter die Haube gebracht werden«, sagte Katty.
    Paula schaltete blitzschnell. »Aber warum sagst du es denn deinen Nachbarn nicht endlich? Der Bürgermeister von Wesel hat um ihre Hand angehalten.«
    Das Gerücht von Kattys Hochzeit hatte etwas Mythisches. Solange Paula sich erinnern konnte, war alle paar Jahre ein Raunen durch die Verwandt- und Nachbarschaft gegangen: »Katty heiratet«, »Hast du schon gehört, Frau Franken kommt unter die Haube«, »Sie soll ihn auf einer Kreuzfahrt kennengelernt haben«. Es waren die absurdesten Varianten dabei. Paula erinnerte sich, dass sie einmal hinter vorgehaltener Hand gefragt worden war, wann Katty denn nun auf die Farm ziehen würde. Dabei hatte der Nachbar das Wort »Farm« so gewollt amerikanisch ausgesprochen, dass er wie ein quakender Frosch geklungen hatte. Es hatte lange gedauert, bis Paula begriff, worum es ging. Ein Erdnussfarmer aus dem Südosten Amerikashatte Kattys landwirtschaftliches Talent auf der Durchreise entdeckt, so ging die Mär durchs Dorf, und wollte sie direkt mitnehmen. Das musste, überlegte Paula jetzt, Ende der Siebzigerjahre gewesen sein, als Jimmy Carter Präsident war, sonst hätte doch niemand hier am Niederrhein gewusst, dass es so etwas wie Erdnussfarmer überhaupt gab. Je unglaubwürdiger die Geschichten waren, die sich um einen möglichen Ehemann von Katty Franken rankten, desto eher glaubten es die Leute. Dass Katty tatsächlich irgendwann heiraten würde, war für sie selbst unvorstellbar. Es hätte einen Mann und einen Moment gegeben, dachte Paula, aber beide waren schon lange verstrichen. Die meisten Menschen im Dorf hingegen konnten nicht verstehen, warum eine so lebenslustige Frau, die zudem noch ein bisschen vermögend war, ohne Mann lebte. Alleinstehend zu sein, galt auf dem Land bis heute als eine Form der Unvollständigkeit, als Makel. Aber natürlich war das harmlos im Vergleich zu dem, was Unverheiratete vor fünfzig Jahren mitgemacht hatten. Paula erinnerte sich an Väter, die der Verzweiflung nahe waren, wenn sie für ihre Töchter keine Ehemänner finden konnten. Eine von Kattys Nachbarinnen war das beste Beispiel dafür. Sie versuchte, die alte Frau van Treek in der wuseligen Menge ausfindig zu machen. Sie hatte sie vorhin begrüßt, aber die Dame war ja nun auch schon über siebzig. Vielleicht ist sie zu Bett gegangen, dachte Paula und schaute auf ihre Armbanduhr. Sie konnte das Zifferblatt längst nicht mehr richtig lesen. Zeitlos schön, grinste sie und gab es auf.
    Als Lieschen van Treek noch eine junge Frau gewesen war, hatte sie nicht gerade die Anmut und Schönheit besessen, die sich ihr Vater erträumt hatte. In Paulas Erinnerung war sie immer ein wenig bleich gewesen, und Ober- und Unterkörper hatten auffallend schlecht harmoniert. Ihre Schultern waren sehr schmal, die Taille sehr zart und ihre Brüste waren kaum ausgeprägt. Ihr Becken dagegen war unfassbar breit, ihr Gesäßerinnerte an ein schweres belgisches Kaltblut. Dazu hatte sie eine große Nase und dünnes Haar, das ihr wie Wollfransen ins Gesicht fiel.

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