Wir sind doch Schwestern
Unglücklicherweise eilte ihr zudem auch noch der Ruf voraus, sie habe mit achtundzwanzig Jahren den Dünkel einer Gutsherrin, sei streitlustig und widerspenstig. Kurz, damals war ihnen allen klar gewesen, dass diese junge Frau eine alte Jungfer werden würde. Lieschens Mutter hatte manches Mal weinend bei Katty und ihr gesessen und sich beklagt, aber nicht einmal Katty war eine vernünftige Idee gekommen, wie man die junge Frau an den Mann hätte bringen können.
Eines Tages dann schien Vater van Treek den Entschluss gefasst zu haben, seiner Tochter einen Ehemann zu kaufen. Wie zu einem Viehmarkt zog er durch die Nachbarschaft und suchte nach einem kräftigen, aber mittellosen Mann um die vierzig. Er musste bis nach Wesel ziehen auf seiner Suche, denn jeder Mann in Wardt und der näheren Umgebung hatte von van Treeks Unterfangen gehört und war in Deckung gegangen. Doch schließlich wurde Vater van Treek fündig. In einem kleinen Ort namens Lerrich lebte Heini Schulten. Er war nicht sonderlich intelligent, möglicherweise lag es daran, dass man in dem Dorf über Jahrhunderte hinweg kein frisches Blut zugelassen hatte. Man heiratete unter sich, und so war irgendwann jeder mit jedem verwandt, was sich fatal auf die Denkfähigkeit einiger Bewohner ausgewirkt hatte. Dieses Phänomen hatte es überall auf dem Land gegeben, überlegte Paula, und all die Orte, die davon nicht betroffen waren, lästerten über die »Inzucht-Dörfer«: »Hinter jedem Ofen haste wenigstens einen Doofen.« Heini Schulten war also einer von denen, denen der liebe Gott statt Gewitztheit Naivität, aber auch statt Grübelei und Trübsinn einen einfachen Sinn für Freude mit auf den Weg gegeben hatte. Van Treek sprach vor und konnte sein Glück kaum fassen, denn von nun an hatte seine Tochter einen Verlobten.
Ein Jahr nach der Hochzeit gebar sie ein gesundes und intelligentes Mädchen. Ob Heini wirklich der Vater war, mochte niemand beschwören, aber letztlich wollte es auch niemand so genau wissen. Heini stellte keine Fragen, warum also sollten es die Wardter Bauern tun. Jeder hatte schließlich seine eigenen Sorgen. Nur die Frauen lästerten heimlich und die Klatschbase des Dorfes fuhr Jahr um Jahr mit dem Fahrrad durchs Dorf und verkündete einen anderen Vater für das kleine Mädchen.
Paula erinnerte sich noch genau, wie fuchsteufelswild die alte Frau van Treek geworden war, wenn sie die Klatschbase nur von Weitem gesehen hatte. Paula lächelte, sie musterte Katty, die weiterhin die Nachbarn bezirzte und mit Getränken versorgte. Niemand in der Familie war auf die Idee gekommen, ihr einen Gatten zu besorgen. Paula selbst hatte schnell einen Ehemann gefunden, aber ihn zu halten, war ihr nicht gelungen. Alfred war ihr entglitten. In ihren Albträumen hatte sie ihn an der Hand festgehalten, und er war immer tiefer vom Sumpf verschluckt worden, bis sie ihn hatte loslassen müssen.
Sie war inzwischen wieder in Richtung Dienstbotenküche gegangen und blickte zu den Nachbarinnen, die eifrig an ihren Röschen arbeiteten. Die meisten Frauen waren um die fünfzig. In diesem Alter war sie bereits eine geschiedene Frau und eine Scheidung damals wie ein Kainsmal gewesen. Hüte dich vor den Gezeichneten, hatte ihre Mutter immer gesagt. Und genauso war sie sich vorgekommen, wie eine Verbrecherin, der man aus dem Weg ging.
Paula hörte die Männer in der Scheune laut johlen und singen. Sie hatten offenbar ihren Kranz fertig gesteckt und machten sich bereit, ihn am Vorderhaus aufzuhängen.
»Komm, das lassen wir uns nicht entgehen.« Katty hakte ihre Schwester unter und Paula ließ sich von ihrer guten Laune anstecken.
»Mal langsam, die werden den Kranz ja nicht in zwei Minuten aufgehängt haben. Ich kann so schnell nicht mehr laufen.«
»Entschuldige«, sagte Katty und machte kleinere Schritte. Doch das half Paula auch nicht weiter, denn mit ihrem Watschelgang gab Katty ihr bei jedem Schritt mit der Hüfte einen Stups, sodass sie hinzufallen drohte.
»Katty, du bist umwerfend«, schnaufte Paula, und als Katty merkte, dass sie veräppelt worden war, lachte sie.
»Also, wenn es dir nicht passt, wie ich gehe, dann musst du dir jemand anderen suchen, der dir Halt gibt.«
»Such mir einen Mann dafür, kleine Schwester. Und sag ihm, ich sei alt und vermögend«, griente Paula.
»Kein Problem«, bemerkte Katty trocken und zog davon. Paula tastete sich langsam und gemächlich zum Hausportal vor, von wo schon ein kräftiges Hämmern zu hören war. Der
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