Wir sind doch Schwestern
sich gern. Wie Mann und Frau verkehrten sie nur noch selten miteinander und irgendwann gar nicht mehr. Paula hatte sich darüber nie Gedanken gemacht, es hatte sich einfach so ergeben. Sie lebten zur Miete auf dem einstigen Familienhof und hatten alle Hände voll zu tun. Ihr Vater hatte den Landwirtschaftsbetrieb verkauft, aber sie hatten dort bleiben können. Alfred kam erst Ende 1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurück, von der er sich nie mehr ganz erholte. Er kränkelte ständig, hatte Husten, arbeitete aber dennoch, ebenso wie Paula, als Lehrer in Rees. Bei ihnen lebte Paulas Cousin Peter. Er war früh Waise geworden und von Paulas Familie großgezogen worden. Paulas Vater hatte ihn geliebt wie seinen eigenen Sohn, und Peter hing ganz besonders an dem Hof in Empel. Zusammen mit Alfred schuftete er, um den Hof, der im Krieg arg zerstört worden war, wieder auf Vordermann zu bringen. So nah an der Rheinbrücke waren ihnen die Bomben nur so um die Ohren geflogen. Das Dach musste neu ausgebaut werden, einige Stellen an der Fassade bröckelten, und die Felder rundherum waren gespickt mit Blindgängern, sodass kurznach dem Krieg der Kampfmittelräumdienst fast wöchentlich zu ihnen gekommen war. Zwei Jahre nach Kriegsende heiratete Peter. In der Familie hatte schon niemand mehr damit gerechnet. Er war bereits neununddreißig, als er endlich Maria kennen- und lieben gelernt hatte. Sie zog zu ihnen auf den Hof und kümmerte sich um den Haushalt, während Peter seinen Lebensunterhalt als Friedhofsgärtner verdiente. Und auch in dieser Hinsicht verstanden sich die beiden Männer hervorragend, denn Alfred liebte Pflanzen über alles und hatte einen grünen Daumen. Gemeinsam errichteten sie ein Gewächshaus und verbrachten dort Stunde um Stunde, ohne dass irgendjemand etwas Böses geahnt hätte.
Paula spürte, wie Schmerz und Scham erneut in ihr hochkrochen. Grimmig schlug sie mit der Faust vor die Holzleiter. Sie wollte nicht ständig daran denken, aber immer wieder kreisten dieselben Bilder in ihrem Kopf. Ihr Mann hatte ihr jahrelang etwas vorgespielt. Er hatte niemals sie begehrt, sie fühlte sich gedemütigt. Und dann stand ihr, wie so oft in den vergangenen Wochen, die ganze hässliche Wahrheit und das, was sie sich darüber hinaus ausgemalt hatte, vor Augen.
Im Gewächshaus hatte man sie erwischt.
Maria, die alle nur Ria nannten, war schwanger. Sie hatte Paula nach dem gemeinsamen Mittagessen zur Seite genommen und von Übelkeit und Schmerzen in den Brüsten berichtet. Die beiden hatten wie Mädchen im Kreis getanzt, denn alle hatten schon auf diese frohe Botschaft gewartet. Ria beschloss, ihrem Gatten die freudige Nachricht mit Kaffee und Kuchen ins Gewächshaus zu bringen. Sie hatte sich für diesen Moment hübsch gemacht: die Haare frisch frisiert und die Lippen geschminkt, außerdem hatte sie sich in die Wangen gekniffen, um etwas Farbe zu bekommen. Was sie dort sah, ließ ihre Wangen von allein tiefrot werden. Sie erstarrte zur Salzsäule, das Tablett mit Kaffee und Kuchen vor sich haltend wieeine Monstranz. Kein Mucks entfuhr ihr, und entsetzt schaute sie auf das Bild, das sich ihr bot.
Sie sah ihren Mann mit heruntergelassener Hose. Der weite Anzug war bis zu den Knöcheln gefallen, der Schlüpfer hing widerspenstig oberhalb der Knie herum. Peters Oberkörper war nach vorne gebeugt, die eine Hand in die Stiefmütterchen gestützt. Hinter ihm sah Ria das weiße knochige Hinterteil von Alfred, sein Po war mit kleinen Pickelchen übersät.
Kopulierende Hunde, so erzählte Ria später, sei es ihr noch durch den Kopf geschossen, dann sei sie ohnmächtig geworden. Das Tablett rutschte ihr aus der Hand, die Kaffeetasse zerschellte scheppernd auf dem Boden, die Blechkanne hüpfte ein paar Meter weiter und entleerte ihre braune Brühe, während Rias Gesicht neben dem Pflaumenkuchen auf die Erde knallte.
Was danach geschehen war, hatte Paula sich zusammengereimt. In ihrer Vorstellung versuchten die Männer, sich panisch voneinander zu befreien. Die Hosen an Knöcheln und Kniekehlen allerdings verhinderten einen koordinierten Abgang. So stürzten auch die beiden, wobei Peter mit dem Kinn hart auf den Blumentisch schlug und sich ein Stück Zunge abbiss. Jedenfalls blutete er furchterregend aus dem Mund.
Seine Scham war wohl größer gewesen als jedes Mitgefühl, vermutete Paula, denn Peter hatte sich nicht einmal um seine ohnmächtige Frau gekümmert. Kopflos war er an der Küche, in der Paula sich befand, vorbei
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