Wir sind doch Schwestern
die Luft geschleudert. Van Laack rannte los, um wenigstens noch seine Tochter zu retten. Erst im Keller bemerkte er, dass das Kind längst tot war. Die Kinderleiche im Arm, harrte der Bauer aus.
Nach ungefähr zwei Tagen kamen britische Soldaten in den Keller gestürmt und zerrten die Männer nach oben ans Tageslicht. Van Laack, seine beiden ältesten Söhne und die Knechte wurden von den Briten nicht gerade zimperlich behandelt. Nur mühsam konnten sie diese davon überzeugen, dass sie mitnichten Nazis waren, sondern ganz im Gegenteil die deutschen Soldaten eben gerade deshalb auf dem Hof stationiert gewesen waren, weil sie deren Gesinnung nicht geteilt hatten. Auch wenn die Briten ihnen schließlich glaubten, war die Verheerung längst angerichtet. Das Vieh war tot, die Schafe allesamt verbrannt, die große Scheune von Bomben in zwei Teile geschnitten worden und das Haus hatte kein Dach mehr. Van Laack hatte Frau, Kind und seine Existenz verloren. Er war kein Nazi gewesen und war dafür gleich doppelt bestraft worden. In ihm machte sich schwelender Hass breit auf diejenigen, die mit der Parteinadel davongekommen waren.
Paula hatte gebannt zugehört. Diese Geschichte kannte sie wirklich noch nicht und hatte sie sehr berührt. Sie erinnerte sich daran, dass sie in den letzten Kriegstagen viel mehr Angst um ihre Mädchen gehabt hatte als um sich selbst. Und sie verstand van Laacks Unversöhnlichkeit. Sie konnte sich vorstellen, wie es dem Mann gegangen sein und wie groß der Schmerz über den Verlust gewesen sein musste. Auch seinen Rachedurst fand sie nachvollziehbar, selbst wenn der nach Kattys Interpretation den Falschen getroffen hatte, nämlich Bauer Passens. Den, so hörte sie Katty die Geschichte weiterführen, hatte Wardt 1938 zum Bürgermeister gemacht.
»Wie, der Passens hinten am Kirchenfeld war ein alter Nazi?«, ereiferte sich Heinz nun, der die Geschichte des Dorfes förmlich aufzusaugen schien.
»Er war in der Partei, aber ein Nazi war er deshalb noch lange nicht«, erwiderte Katty bestimmt. »Eigentlich hat er seine Sache als Bürgermeister sehr gut gemacht, er hat nämlich so wenig wie möglich getan und alle Bauern, so gut es ging, in Ruhe gelassen.« Nach dem Krieg aber, als es van Laack und anderen Familien schlecht ging, da hatten sie vom einstigen Nazibürgermeister Passens eine Wiedergutmachung verlangt. »Dein Land gehört uns«, hatten sie ihn bedroht, »dein Hof wird unter uns aufgeteilt.« Mehr als einmal war der nachkirchliche Sonntagvormittag in eine wilde Schlägerei ausgeartet. Und auch wenn die blauen Augen und aufgeplatzten Augenbrauen schnell verheilt waren, ein Riss war quer durchs Dorf gegangen, und über Monate hatte ein Gefühl von Missgunst und Misstrauen die kleine Bauernschaft beherrscht. Als eines Tages ohne ersichtlichen Grund die Scheune von Passens abgebrannt war, hatten die Wardter Brandstiftung vermutet und aus Angst, ihnen könnte Ähnliches widerfahren, hatten sich diejenigen, die vormals eine Parteinadel getragen hatten, zusammengetan und eine Art Bürgerwehr gebildet.
»Es gab permanente Unruhen«, schloss Katty die Geschichte und blickte den Pfarrer bedeutsam an, »bis Heinrich Hegmann ein Machtwort sprach.«
»Und das war bei mir auf der Kanzel«, sagte der Priesterbeflissen und Paula bemerkte amüsiert, dass er diesmal auf sein Stichwort vorbereitet gewesen war. Offenbar hatte es schon so manches Nachbarschaftsfest gegeben, an denen Katty und der Pfarrer ihr Tänzchen aufgeführt hatten. Den Rest der Geschichte kannte Paula. Heinrich hatte in der Kirche eine Art Predigt gehalten und die Dorfbewohner aufgefordert, diejenigen zu unterstützen, die im Krieg ihr Hab und Gut verloren hatten. Mit seiner ganzen Autorität hatte er die Bauern mit unversehrten Höfen gebeten, Geld oder Arbeitskraft zu spenden, damit die anderen wieder auf die Beine kämen. Heinrichs Aufforderung, die nun von Katty zum Besten gegeben wurde, konnte Paula inzwischen mitsprechen:
»›Wir können die Vergangenheit nicht ändern, also lasst uns gemeinsam eine gute Zukunft errichten!‹, das hat er damals von der Kanzel herabgerufen. Ich glaube, man kann sagen, dass Heinrich Hegmann das Dorf versöhnt und durch manches Fest dafür gesorgt hat, dass die Dorfgemeinschaft auch wieder etwas zu lachen hatte«, endete Katty und blickte sich Beifall heischend um.
»Dazu haben aber auch Sie Ihr Scherflein beigetragen«, sagte der Pfarrer und Paula pflichtete ihm bei.
»Das kann man wohl sagen.
Weitere Kostenlose Bücher