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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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einziges trauriges Wort: Désolé.

Der 100. Geburtstag – Samstag
Nicht ohne Fehl und Tadel
    Katty schreckte hoch. Eine unangenehme Ahnung hatte sie geweckt. War es nur ein Albtraum gewesen oder hatte sie irgendetwas Wichtiges vergessen? Sie tastete auf dem Nachttisch nach dem Schalter der Lampe. Es war stockfinster im Zimmer, aber das ließ keine Rückschlüsse auf die Uhrzeit zu. Da Katty gerne lang schlief, hatte sie sich angewöhnt, das Fenster im Schlafzimmer mit einer Wolldecke zu verhängen.
    Hoffentlich ist es noch nicht allzu spät, dachte sie, und machte sich in Gedanken eine Liste der Dinge, die sie vor dem großen Fest erledigen musste. Die Kartoffeln würde sie heute schon schälen, außerdem das Fleisch in Buttermilch einlegen, das Silberbesteck musste geputzt werden, und am Nachmittag hatte sie einen Friseurtermin in Xanten. Auf dem Rückweg würde sie schließlich Josélein abholen und sie auf den Tellemannshof mitnehmen, und dann konnte man meist ohnehin nichts mehr tun, weil die Schwägerin immerzu die volle Aufmerksamkeit verlangte. Ach, und kommt heute Vormittag nicht noch einmal der Journalist?, fragte sie sich.
    Wie spät ist es denn jetzt? Sie hatte endlich den Lichtschalter gefunden, aber konnte die Zeiger des Weckers immer noch nicht erkennen. Katty war stark kurzsichtig, und vor vielen Jahren hatte sich auch noch eine Altersweitsichtigkeit dazugesellt. Sie probierte ein bisschen und suchte nach dem perfekten Abstand zwischen Auge und Wecker.
    Halb acht, das war nun aber doch sehr früh. Sie seufzte, schob ihre Beine aus dem Bett und wartete ein paar Sekunden, bis ihr Kreislauf in die Gänge kam, dann stand sie auf, zog die Wolldecke vom Fenster und sah, dass es ein schöner Tag werden würde. Ihr Zimmer hatte Blick nach Osten, und die ersten Sonnenstrahlen blitzten ihr entgegen. Vielleicht sollte ich in die Stadt fahren und Croissants kaufen, überlegte sie. Piet, der Belgier, hatte sie auf den Geschmack gebracht. Eines Tages war er mit dem süßen Gebäck angekommen und hatte gescherzt, das sei das richtige Frühstück für ältere Damen und zahnlose Franzosen. Dabei fiel ihr ein, dass sie noch eine Lösung für Piets Ständchen finden musste. Es würde Gertrud sicher nicht gefallen, wenn er mit seiner lauten, modernen Einmannkapelle das offizielle Geburtstagsfest beehren würde. Sie musste lachen. Er würde das Fest sprengen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Wenn man Piet ließ, hörte er nicht mehr auf, zu spielen. Er benahm sich wie ein kleiner James Last, schnippte wild mit allen zur Verfügung stehenden Fingern und animierte die versammelte Gesellschaft unermüdlich, auf die Tanzfläche zu gehen, selbst wenn es keine gab. Katty stellte sich Gertrud vor, wie sie mit großer Fassungslosigkeit neben dem Xantener Bürgermeister stehend von Piet zum Tanzen aufgefordert wurde. Eine wundervolle Szene, griente sie, ich muss Paula davon erzählen. Aber das sollte besser nur in ihrer Fantasie stattfinden. »Problem Piet lösen«, schrieb sie im Geist auf ihre Liste.
    Katty zog sich an, ging in die Küche und dann, mit einer Tasse in der Hand, ins Wohnzimmer, um dort an der Heizung den ersten Kaffee zu trinken. Sie erstarrte, denn als sie um die Ecke bog, wurde ihr jäh bewusst, von welchem unguten Gefühl sie in aller Herrgottsfrühe aufgeschreckt worden war: Sie hattevergessen, das Wohnzimmer aufzuräumen, nachdem sie dort mit Paula gesessen hatte. Auf dem Tisch lag noch der Ordner mit den Scheidungsunterlagen. Katty stellte die gefüllte Kaffeetasse zu den leeren Gläsern vom Vorabend. Gott sei Dank ist Gertrud noch nicht aufgestanden, atmete sie erleichtert auf. Sie wollte den Ordner gerade zurück in die Kommode legen, doch als sie ihn anhob, entdeckte sie darunter ein kleines buntes Buch. Sie war sicher, dass es am Vorabend nicht da gelegen hatte. Das darf nicht wahr sein, dachte sie. Wenn Gertrud den ganzen Schlamassel gelesen hat, ist der Tag gelaufen. Sie biss sich auf die Unterlippe. Hatte das Buch dort gestern schon gelegen? Und warum sollte Gertrud sich mitten in der Nacht überhaupt ein Buch nehmen? Weil sie nicht schlafen kann, gab Katty sich selbst die Antwort. Und vielleicht hatte sie in Erinnerungen geschwelgt. Sie sah auf den Titel: »Es geschah im Nachbarhaus«. Ein Buch, das häufig in Schulen besprochen wurde. Ob Gertrud es damals ebenfalls durchgenommen hat, überlegte Katty, doch dann stellte sie fest, dass das nicht sein konnte. Als das Buch erschienen war,

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