Wir sind doch Schwestern
einen Brunnen herum.
Auf der Unterseite hatte das Kästchen eine metallene Schraube. Wenn man damit die Feder im Inneren aufzog, begann sich eine kleine Walze mit Noppen zu drehen, die an einer Blechtastatur vorbeistrichen und das Lied »Laurentia, liebe Laurentia mein« spielten. Katty liebte diesen Klang, besonders, wenn die Feder kaum noch Schwung hatte und die Walze sich so langsam drehte, dass jeder Ton nur ganz zart herauszitterte. Es klang dann so wunderbar melancholisch. Diese Uhr war ihr wertvollstes Erinnerungsstück. Ihr Vater hatte ihr damit die Wochentage beigebracht, denn in jeder Strophe des Liedes traf man Laurentia an einem anderen Tag. Er war vor sechs Jahren gestorben, kurz bevor der Krieg begonnen hatte, Katty vermisste ihn. Auch von ihrer Mutter hatte sie nur ein kleines Erbstück, eine schlichte unverzierte Hutnadel aus Silber. Katty nahm sie aus dem Schrank und legte sie neben die Spieluhr.
Obwohl ihr das Leben mit ihren Geschwistern manchmal fehlte, wusste sie doch, wie gut es ihr bei Heinrich Hegmann ging. Sie hatte eine respektable Anstellung, sie bekam Achtung und Respekt, sowohl von den Hofmitarbeitern als auch von ihrem Arbeitgeber, dem sie sich ungewöhnlich nah fühlte. Er und vor allem Theodor waren ihre Familie. Gewesen, verbesserte sie sich und spürte, wie die Trauer über Theodors Tod erneut von ihr Besitz ergriff. Sie hatte selbst nie ernsthaft ans Heiraten gedacht, wozu auch, sie hatte ja Theodor und Vatti gehabt, und vielleicht war das insgeheim eine gute Entschuldigung gewesen, denn tatsächlich hatte nie ein ernst zu nehmender Mann um sie gefreit. Die Leute hier in Wardt mochten sie, aber kein kluger Bauer wäre auf die Idee gekommen, ein so armes Mädchen zu heiraten, und Katty wiederum war inzwischen vom Leben auf dem Tellemannshof zu verwöhnt, um sich an einen Bauern zu binden, der ihr nicht den gleichen Lebensstandard bieten konnte.
Einmal hatte sie mit Vatti Hegmann über die Möglichkeit einer Ehe gesprochen. Der Bruder von Grete Meisen aus Ginderich schien sich für sie zu interessieren, und als Katty es in Vattis Beisein erwähnte, so beiläufig, wie es nur ging, reagierte dieser mit unerwarteter Heftigkeit.
»Sie werden doch keine Dummheiten machen, Fräulein Franken. Der Bauer Meisen hat nichts an de Föß. Da bleiben Sie mal lieber bei mir und Theodor, da wird es Ihnen sicher besser ergehen.«
Katty war verwundert, dass Vatti sie mit Fräulein Franken angesprochen hatte. Natürlich siezten sie sich, aber normalerweise nannte er sie Katty, »Fräulein Franken« hatte so etwas Offizielles, es klang fast wie ein Verbot, und so verfolgte Katty die Geschichte nicht weiter. Außerdem war sie stolz gewesen, dass der große Heinrich Hegmann sie auf dem Hof halten wollte. Das Gefühl hatte sie auch jetzt. Sie wurde auf dem Hof gebraucht, sie war hier nicht wegzudenken.
Sie machte sich auf den Weg in Vattis Schlafzimmer, um dessen Koffer zu packen. Mit einem Kopfnicken öffnete er ihr die Tür, und als Katty sich wortlos auf seinen Schrank zubewegte, machte er ihr ein Zeichen, stehen zu bleiben.
»Katty, ich kann den Hof nicht im Stich lassen. Mein Sohn ist gestorben, um sein Land zu verteidigen, soll ich nun weglaufen wie ein Hase? Ich werde hier bleiben. Vielleicht kann man sich arrangieren, vielleicht werden die Engländer verstehen, dass man so ein Haus bewirtschaften muss und dass mandas Vieh nicht sich selbst überlassen kann.« Katty nickte. Sie hatte einen Kloß im Hals und erkannte wieder einmal, wie ähnlich sie sich waren. »Ich werde ebenfalls bleiben«, antwortete sie schließlich. Heinrich sah sie lange an, als überlegte er, wie er darauf reagieren sollte. In seinen Augen blitzte etwas wie Stolz, aber auch tiefe Zuneigung. Katty wurde ganz blümerant, als er sie so ansah. Irgendetwas an diesem Blick war anders als sonst. Mit sanfter Stimme sprach er auf sie ein. »Katty, es wird gefährlich werden hier. Die englischen Soldaten sind wild und wütend, man weiß nicht, wie sie sich gegenüber Frauen benehmen. Von rheinaufwärts hört man die schrecklichsten Dinge.«
Katty wurde mulmig. Nach allem, was man sich in diesen Tagen erzählte, waren Plünderungen an der Tagesordnung. Dabei wurden die Bauersleute manches Mal geschunden und verprügelt, man hörte auch von Vergewaltigungen.
Ach was, sagte sie zu sich, jetzt reiß dich mal zusammen, Katty Franken. Sie würde die Engländer schon in Schach halten. Die sollten nur kommen, dachte sie trotzig und
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