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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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fragte sich ganz ernsthaft, ob sie nicht lieber auf dem Hof ihr Leben ließ, als nachher nicht mehr zu wissen, wohin. Sie würde jedenfalls nicht zulassen, dass Vatti allein auf dem Hof blieb.
    »Ich bleibe«, sagte Katty deshalb so bestimmt, dass nicht einmal ein Heinrich Hegmann es wagte, zu widersprechen.
    »Gut«, sagte er nach einer Weile und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, »dann geh und sag Theo Zumkley, er möge unsere Bediensteten anführen.«

9. März 1945
Wenn es Nacht wird
    Wardt wurde dunkel und still. Sie waren alle weg: die meisten Dorfbewohner, die Knechte und Mägde und wahrscheinlich auch viele Bauern. Falls doch jemand geblieben war, so konnte man es nicht sehen, denn niemand wagte, das Licht anzumachen. Es lag eine gespenstische Stille über dem Ort. Wenn eine Kuh mit dem Huf vor die Stallwand schlug, zuckte Katty unwillkürlich zusammen. Sie hörte diese Geräusche sonst auch, aber normalerweise lauschte sie nicht so angestrengt. Sie hatte Angst. Die Soldaten konnten jeden Moment auf dem Hof eintreffen. Was hatten sie von ihnen zu erwarten? Immerhin war die Bevölkerung aufgefordert worden, zu verschwinden, war das eine humane Geste gewesen, oder hatte man nur Angst vor Gegenwehr? Katty fröstelte. Vielleicht würden die Engländer sie sofort aufhängen. Oder erschießen. Vielleicht würden sie in den Keller gesperrt, wo sie elendig verhungerten. Erst Vatti und dann sie. Sie war plötzlich sicher, dass sie länger ohne Nahrung auskommen könnte als er. Was aber, wenn Vatti sie ermorden und aufessen würde? Hatte es so etwas nicht schon gegeben, im Winter an der Ostfront? Hungernde Soldaten waren dort angeblich über die Toten hergefallen, um zu überleben. Da war es schließlich nur noch ein kleiner Schritt, bis man einen Menschen umbrachte,um nicht zu verhungern. Plötzlich grauste ihr vor Vatti. Was, wenn dieser Mann ihr etwas antat? Gertrud hatte sie immer vor Heinrich Hegmann gewarnt und behauptet, er sei skrupellos und gehe über Leichen.
    Katty stand auf. Sie musste aufhören, so einen Unsinn zu denken, sie benahm sich ja wie ein kleines Mädchen. Früher in Empel hatte sie häufig solche Räuberpistolengedanken gehabt, in die sie sich hineinsteigern konnte. Aber nun war sie erwachsen und sollte ihren Kopf lieber vernünftig benutzen. Sie hatte Angst vor den Engländern, vor den Fremden, nicht vor dem Mann, dessen Haus und Hof sie führte. Aber es war an der Zeit, sich das »Vatti« abzugewöhnen. Er war Heinrich Hegmann. »Vatti« war Theodors Spitzname für ihn gewesen, und jetzt, da Theodor tot war, erschien es ihr unangebracht, ihn weiterhin zu benutzen.
    Die Stille machte sie verrückt. Sie beschloss, sich in der Küche ein Glas Milch zu holen. Vielleicht könnte sie sich dann mit einer Kerze in das kleine fensterlose Büro setzen. Sie wäre wach und gewappnet für die fremden Soldaten. Vielleicht sollte sie zur Sicherheit noch ein großes Fleischmesser aus der Küche mitnehmen.
    Leise schlüpfte sie aus dem Zimmer und zählte die Stufen der alten Holztreppe. Die fünfte musste man auslassen, denn Nummer fünf von oben ächzte jedes Mal, wenn man auf sie trat. Bei der Stille im Dorf wäre das Geräusch womöglich bis zu den Alliierten zu hören gewesen.
    Sie schlich in die Küche, holte sich eine Kerze, ein Glas Milch und das große Messer.
    Plötzlich hörte sie ein Rascheln. Nein, das waren Schritte. Sie konnte es nicht genau zuordnen, denn in ihren Ohren rauschte das Blut. Sie hielt die Luft an. Das Blut rauschte noch lauter. Nach einer Minute konnte sie nicht mehr und prustete die Luft aus der Lunge. Jetzt hörte sie nur ihren eigenen Atem.Vermutlich war es eine Katze gewesen, aber Katty spürte die Angst zurückkehren. Sie überlegte, ob sie sich in der Küche unter der Bank verstecken könnte, und verwarf den Gedanken im selben Moment. Wenn die Alliierten kamen, würden sie das Licht anmachen und eine Frau unter der Bank kauern sehen, schlotternd vor Angst. Wie peinlich, sie hatte schließlich Stolz. Eine Weile redete sich Katty gut zu, sie müsse sich verhört haben, doch da war es wieder. Ein Knarren, aber das kam nicht von den Treppenstufen, es klang eher wie die Holzdielen im Wohnzimmer. Natürlich. Sie waren wohl gerade zur Tür hereingekommen. Oder nein, die Tür war ja verschlossen. Aber vielleicht hatte Heinrich vergessen, das kleine Fenster in der Diele zu schließen. Katty spürte, wie Panik in ihr aufstieg. Ihre Füße kribbelten und sie wusste, was bald

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