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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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passieren würde. Wenn sie sich nicht schnell beruhigte, würde sie wegrennen. Egal wohin. Rennen, als ob der Teufel hinter ihr her wäre. Sie hatte als Kind oft furchtbare Angst gehabt, ohne genau zu wissen, wovor. Vielleicht sogar vor Geistern, obwohl sie eigentlich kein bisschen abergläubisch war. Manchmal hatte sie nachts das Gefühl gehabt, dass irgendetwas in ihrem Nacken war. Wenn sie in ihrem Bettchen unter der Decke kauerte, glaubte sie zu spüren, wie jemand näher kam, wie sich jemand über sie beugte, aber wenn sie die Decke wegschlug, war niemand da. Sie harrte dann lange im Bett aus, bis sie die Kraft hatte, um aufzuspringen und ins Bett ihrer Schwester Paula zu hüpfen.
    Aber Paula war nicht da, und eine gestandene Frau war sie nun auch, sie konnte wohl kaum zu Heinrich Hegmann rennen. Sie musste sich ihrer Angst stellen, sie musste angreifen. Da hörte sie wieder ein Geräusch. Und diesmal waren es wirklich Schritte. Sie kamen näher. Katty war wie gelähmt. Wahrscheinlich waren die englischen Soldaten ausgehungert und suchten etwas zu essen. Verstecken, sie musste sich verstecken. Aber wo? Die Schritte kamen näher. Einer schien schon den kleinen Flur zur Küche erreicht zu haben. Mit einem Satz ergriff sie das Messer und stellte sich hinter die Tür, doch dabei war sie mit den Schuhen über den Steinboden geschleift, der Engländer musste sie gehört haben. Die Klinke ging ein paar Zentimeter herunter und schnellte zurück. Katty fasste das Messer fester, sie war bereit, sich auf den Eindringling zu stürzen, sobald der eintrat.
    Mit einem Ruck ging die Tür auf. »Was machen Sie hier?«, schrie eine dunkle Stimme. Katty kreischte auf. Und in dem Moment merkte sie auch schon, wie sie von einem Mann gepackt wurde. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien. Sie schrie wie am Spieß und stieß dabei laute Flüche aus, bis der Angreifer ihr eine kräftige Ohrfeige gab und ihr den Mund zuhielt. Es dauerte eine Weile, bis die Stimme zu ihr durchdrang.
    »Katty, ich bin’s. Beruhigen Sie sich doch. Sie wecken ja alle Alliierten im Umkreis von zehn Kilometern auf.«
    Erst jetzt merkte Katty, dass sie vor lauter Angst die Augen zugekniffen hatte. Als sie langsam eines zu öffnen wagte, lachte der Mann mit vertrauter Stimme. Als sie das andere auch noch aufmachte, streichelte er ihr über die Wange, auf die er vorher geschlagen hatte, und murmelte irgendetwas von Entschuldigung. Als sie erkannte, dass es Heinrich war, der vor ihr stand, wurde ihr schwindlig.
    Sie brauchte eine Weile, bis sie wieder zu sich kam. Sie lag auf Heinrichs Bett, er saß auf der Bettkante. Hatte er sie etwa hierher getragen, oder war sie selbst gelaufen?
    »Was ist passiert?«
    »Nichts, Sie wollten mich nur erstechen. Aber als es blutete, sind Sie umgekippt.« Er lächelte schief und zeigte ihr eine Schnittwunde an seiner Hand.
    »Oh Gott, war ich das etwa? Ich bin schrecklich dumm. Bitte entschuldigen Sie!«

    »Nein, nein. Ich bin sicher, Sie hätten alle Soldaten verjagt, es waren bloß keine da. Aber ich bin froh, dass ich eine so mutige Haustochter habe.«
    Katty kamen die Tränen. Sie fühlte sich jämmerlich. Eine fantastische Hilfe war sie auf dem Hof. Gleich in der ersten Nacht wurde sie hysterisch und fiel Heinrich zur Last.
    »Ich bin unnütz«, schniefte sie. Heinrich sah sie an.
    »Katty«, sagte er ernst, »Sie sind die Einzige, die bei mir geblieben ist. Und ich möchte hier nicht ohne Sie sein.«
    »Ich möchte hierbleiben. Das passiert mir nicht noch mal«, sagte sie und versuchte, ihrer Stimme einen entschlossenen Klang zu geben.
    »Ich weiß«, erwiderte Heinrich. »Wir werden ab jetzt ein Zimmer teilen. Dann werden wir uns wenigstens nicht gegenseitig jagen. Bleiben Sie auf dem Bett liegen, ich werde für heute Nacht die Sessel zusammenschieben und morgen früh holen wir das Sofa ins Zimmer.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Schlafen Sie gut, liebe Katty.«
    Katty war merkwürdig berührt von dieser Geste. Seine Stimme hatte so anders geklungen als sonst. Liebevoll, fast zärtlich. Sie war verunsichert und stellte sich schlafend, während Heinrich die Sessel zusammenschob, sich aus dem Wohnzimmer eine Wolldecke holte und es sich so bequem machte, wie es eben ging.
    Als Katty früh am Morgen aufwachte, war Heinrich bereits fort. Sie fragte sich, ob er wohl auf der Weide war, die Kühe melken. Aber da hörte sie Geräusche in der Küche und kurz darauf kam Heinrich zur Tür herein. Er hatte Malzkaffee

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