Wir sind doch Schwestern
geschwitzt, und als er nun sein enges Gefängnis verlassen konnte, stöhnte er laut auf.
»Los!«, sagte Katty. »Du musst hier weg. Schleich dich hinten über das Burenend, damit du nicht am Vorderhaus vorbeimusst …«
»… und pass auf, hinten auf der Weide läuft der Stier frei rum. Mit deinem hochroten Kopf wird er dich schon von Weitem sehen«, erlaubte sich Kattys Nichte zu allem Überfluss noch einen bösen Scherz. Alle lachten, bis auf Friedrich, denn der war ein Stadtkind, und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte, wenn dort auf der Wiese tatsächlich ein wilder Stier umherrannte, zumindest ließ seine entsetzte Miene darauf schließen.
»Lasst den Unsinn«, prustete Katty deshalb, »und du, zisch ab. Bis bald.«
Sie gab Friedrich einen liebevollen Klaps auf den Rücken und schob ihn sanft, aber bestimmt zur Tür.
Einige Tage später begegnete Heinrich seinem Nachbarn.
»Hast du Probleme?«, fragte der sogleich mitfühlend und neugierig zugleich.
»Nein, was meinst du?«
»Na, ich dachte nur. Denn, warum hast du sonst am heiligen Sonntag den Anwalt auf dem Hof?« Der Nachbar hatte sich bei der Frage bestimmt nichts Böses gedacht, aber Heinrich begriff sofort, was an dem heiteren Sonntag vorgefallen war, und reagierte ungewöhnlich heftig. Er rief Katty zu sich und verbat ihr rigoros, Friedrich Duckerboom noch einmal zu treffen. Er hatte eigentlich nicht das Recht dazu, und sie wunderte sich, dass er sich so sehr in ihr Privatleben einmischte. Etwas Vergleichbares hatte er bei den anderen Haustöchtern nie getan. Aber vielleicht fühlte er sich verantwortlich, weil er sie schon als Kind gekannt hatte, überlegte sie. Verlegen und mit einem Nicken akzeptierte sie das Verbot.
Erst viel später hatte sie von Theodor erfahren, was danach passiert war. Heinrich hatte Friedrich Duckerboom zur Rede gestellt, ihm Hausverbot erteilt und ihn gewarnt. Er, Hegmann, habe herausragende Beziehungen zum Chef der Anwaltskanzlei. Theodor hatte sich furchtbar darüber aufgeregt und einen heftigen Streit mit seinem Vater angefangen.
Katty war entsetzt gewesen, das hatte sie nicht gewollt. Weder, dass Friedrich um seine Anstellung bangen musste, noch,dass sich Theodor und Heinrich wieder stritten. Sie hatte nicht verstanden, was an diesem Sonntagvormittag so dramatisch gewesen sein sollte, aber beschlossen, sich zu fügen. Friedrich Duckerboom war nie mehr auf den Tellemannshof gekommen. Einige Male hatte Katty ihn noch auf Stadtfesten gesehen und einen Gruß mit ihm ausgetauscht, aber selbst ein längeres Gespräch hatte sich nicht mehr ergeben.
Heinrich hatte sich wie ein eifersüchtiger Junge gebärdet, und Katty fragte sich inzwischen, ob er tatsächlich mehr für sie empfand, als er sollte. Oder lag es einfach daran, dass Theodor sie immer wie eine Mutter behandelt hatte? Der Gedanke an Theodor versetzte ihr einen Stich, und ihre Augen begannen gefährlich zu brennen. Schnell nahm sie eine Heugabel und begann die Pferde zu füttern.
Es war eine schwere Arbeit, die Pferde bekamen ausschließlich angefeuchtetes Heu, damit es nicht zu staubig war. Vor dem Stall stand eine alte Blechwanne mit Wasser, in das sie das Heu tauchte. Das nasse Heu wurde zum Abtropfen auf einen Rost über der Wanne geworfen, erst dann schob sie es den Pferden in die Raufe. Nach einer Weile musste sie das Wasser säubern, es stank bestialisch. Irgendwie hoffte sie, dass Heinrich in der Nähe wäre und ihr diese unangenehme Aufgabe abnehmen könnte, aber er war bei den Schweinen. Sie nahm einen Schlauch, der an der Wand hing, rieb das eine Ende mit einem Tuch sauber und steckte das andere Ende in die dreckige Brühe. Man musste das Dreckwasser ansaugen, damit die Wanne durch den Unterdruck von selbst leerlief. Um das Wasser in Gang zu bringen, musste man also recht heftig saugen, aber auch rechtzeitig aufhören, um das widerliche Wasser nicht zu schlucken.
Ein-, zweimal atmete sie aus, dann saugte sie kräftig und spuckte den Schlauch wieder aus. Es kam kein Wasser. Katty brauchte immer mehrere Versuche, alle anderen hatten denBogen besser raus. Beim vierten Versuch hörte sie Heinrich schreien, vor Schreck saugte sie noch beherzter und ein paar Tropfen der Brühe gelangten in ihren Mund. Sie spuckte angewidert aus und hörte Heinrich erneut rufen, in seiner Stimme war jetzt Entsetzen.
Der Schrei kam von der Wiese hinter dem Stall. Katty lief, so schnell sie konnte. Sie sah Heinrich im Gras hocken und fragte sich, ob wohl eine der
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