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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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Kühe ohne ihr Wissen tragend gewesen war und ihr Kälbchen in der Nacht bekommen hatte. Aber Heinrichs Schrei hatte anders geklungen. Als sie näher kam, sah sie das Elend. Geruch und Geschmack des Heuwassers mischten sich mit Ekel vor dem, was sie da vor sich sah, und sie musste sich übergeben.
    Eine Kuh lag aufgeschlitzt auf der Wiese, die Kehle war durchtrennt, der Rumpf geöffnet und ein Schwarm Fliegen hatte sich bereits darüber hergemacht. An den Flanken, wo sich die Filets befanden, waren große Stücke einfach herausgetrennt. Sie hatten das Euter des armen Tieres aufgeschlitzt und die Zunge herausgeschnitten. Es war ein erbärmlicher Anblick.
    Katty hoffte nur, dass man das arme Tier getötet hatte, bevor es so zugerichtet worden war. Nun erklärte sich auch, warum die Kühe schon den ganzen Morgen so wild blökten. Kühe waren nicht besonders intelligent, aber sie spürten den Tod.
    Heinrich schaute Katty an, seine Augen waren rot vor Zorn.
    »Sie waren hier«, sagte er. »Vermutlich in den frühen Morgenstunden.«
    »Meinen Sie, es waren die Engländer?«
    »Vielleicht, aber fast glaube ich, es waren deutsche Plünderer. Auf jeden Fall jemand, der kurz vor dem Verhungern ist. Hoffentlich hat sie wenigstens Leben gerettet.«
    »Aber hier aus dem Dorf würde uns so etwas doch niemand antun. Ich kann mir das nicht vorstellen.«

    »Mag sein, aber die Engländer hätten sicher mehr als nur eine Kuh getötet. Wie dem auch sei, wir müssen die Tiere heute Nacht in den Stall bringen und bewachen.«
    Katty und Heinrich holten eine alte Karre und zogen die tote Kuh mithilfe eines Seils darauf. Dann fuhren sie den Kadaver in den Innenhof, um ihn zu verbrennen.
    Der Geruch von brennendem Fleisch war widerwärtig, der von Horn und Knochen erst recht. Katty unterdrückte den Impuls, sich ein weiteres Mal übergeben zu müssen. Nach einer Weile ließen sie den Kadaver brennen und gingen wieder an die Arbeit.
    Als sie die Tiere versorgt und gemolken hatten, nahm Heinrich Katty mit in die Jagdstube. Hinten im Stall gab es ein kleines verschlossenes Kämmerchen, in dem Heinrich seine Jagdutensilien aufbewahrte. Er besaß zwei Schrotflinten, ein Jagdgewehr und die entsprechende Munition. Nun schien er fest entschlossen, Katty das Schießen beizubringen. Als sie begriff, was er vorhatte, wehrte sie sich vehement, doch Heinrich bestimmte:
    »Sie müssen ab jetzt eine Waffe bedienen können. Ich kann schließlich nicht die ganze Nacht allein Wache schieben. Nehmen Sie das Gewehr.«
    Sie gingen auf die Wiese. Heinrich nahm einen weißen Eimer und malte darauf eine Zielscheibe.
    »So, nun müssen Sie Kimme, Korn und Ziel zusammenbringen. Wenn Sie alles in einer Achse haben, treffen Sie. Darf ich mal sehen?«
    Katty hatte das Gewehr angelegt, wie Heinrich es vorgemacht hatte. Nun schaute er über ihre Schulter, um sicherzugehen, dass sie richtig zielte, und dabei konnte sie ihn plötzlich riechen. Er roch nach Stallarbeit, aber da war noch ein anderer Duft, den sie bisher nie an ihm wahrgenommen hatte. Die feinen Härchen auf ihrer Wange begannen zu kribbeln. Erwar mit seinem Gesicht sehr nah an ihrem und verharrte dort, als würde auch er diesem Moment nachspüren. Katty hielt es nicht länger aus.
    »Soll ich jetzt schießen?«, durchbrach sie das Schweigen.
    »Wie? Ähm, ja, aber die Waffe ist nicht geladen. Wir wollen doch nicht, dass die Alliierten mit Kanonenfeuer antworten. Ich muss Ihnen nur noch etwas zeigen. Moment. Legen Sie wieder an. Ja, so und Achtung …«
    Er stieß ihr das Gewehr mit Wucht gegen das Schlüsselbein. Katty erschrak. Sie war völlig unvorbereitet gewesen. Wütend starrte sie Heinrich an.
    »Entschuldigung. Aber wenn man schießt, hat das Gewehr einen Rückstoß, das ist etwa so, wie ich gerade demonstriert habe. Der Schütze sollte also sicher sein, dass er einen festen Stand hat und das Gewehr an die Schulter drückt. Sonst geht vor Schreck jeder Schuss in die Luft.«
    Katty hatte begriffen. Sie drückte ihm das Gewehr in die Hand und rieb sich die Schulter. Da würde spätestens morgen ein blauer Fleck sein.
    »Ich werde niemanden erschießen«, sagte sie mit Bestimmtheit und stapfte Richtung Haus. Sie wollte sich waschen und etwas essen. Der Tag war anstrengend gewesen, und die Vorstellung, dass sie auf einen Menschen zielte, erschien ihr völlig absurd. Heinrich holte sie ein.
    »Katty, darf ich Sie an gestern Abend erinnern. Sie waren bereit, jemanden abzustechen, um Ihr Leben und den Hof zu

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