Wir sind doch Schwestern
Franken.«
»Guten Morgen«, antwortete Katty der Verkäuferin an der Bäckereitheke und ärgerte sich ein bisschen über das sehr beiläufige ›Hallo‹. Sie mochte diesen Ausdruck nicht, ›Hallo‹ besaß so gar nichts Konkretes, es ließ nicht einmal auf eine Tageszeit schließen, man konnte es immer sagen oder nie. »Guten Morgen«, wiederholte sie deshalb laut, »haben Sie Krossangs?« Katty wusste, dass sie den Namen dieser Hörnchen falsch aussprach. Piet, der Belgier, schüttelte jedes Mal den Kopf, aber es war ihr egal. Sollten die Franzosen es halt richtig aussprechen, wenn sie mochten, sie hatte noch immer bekommen, was sie wollte.
»Selbstverständlich haben wir Croissants«, sagte die Bäckerin und legte Wert auf die korrekte nasale Aussprache.
Das hört sich lächerlich an, fand Katty, und es wirkte, als wollte sich die junge Dame über eine alte Schachtel wie sie lustig machen. Katty überlegte, ob sie beleidigt sein sollte.
»Sie sprechen aber gut Französisch«, sagte sie stattdessen, »wo haben Sie das denn gelernt?« Die junge Frau fühlte sich offensichtlich geschmeichelt, plötzlich schien es, als wären ihre Augen lebendiger als zuvor und als übte sie ihren Beruf mit größerer Freude aus.
»Wie schön, dass Sie das bemerken, Frau Franken, ich belege seit einem Semester Französisch an der Volkshochschule. Soll ich Ihnen einen Prospekt besorgen?«
»Nein, vielen Dank, nicht nötig«, lachte Katty, »für so etwas bin ich wirklich zu alt.«
Was ein kleines Lob so alles bewirken kann, dachte sie, als sie zurück zum Auto ging, und nahm sich vor, das Experiment zu Hause mit ihren Schwestern fortzusetzen und damit gegebenenfalls Gertruds schlechte Laune zu untergraben.
Als sie auf dem Tellemannshof ankam, waren die beiden bereits aufgestanden. Sie saßen im Wohnzimmer, Gertrud las Zeitung, Paula hörte Radio.
»Guten Morgen!«, rief Katty beschwingt. »Habt ihr gut geschlafen?«
»Du bist schon auf?« Paula sah verblüfft aus. »Mit dir haben wir noch gar nicht gerechnet, sonst hätten wir den Frühstückstisch vorbereitet. Du bist doch sonst so eine Langschläferin.«
»Wie wäre es erst mal mit einer freundlichen Begrüßung, bevor du über mich herziehst? Sonst gibt’s überhaupt kein Frühstück heute!« Katty lachte und verschränkte dabei die Arme wie ein störrisches Kind.
»Wo kommst du denn jetzt her?«, mischte sich Gertrud ein, und Katty hörte, wie so oft, einen vorwurfsvollen Ton heraus.
»Ich habe euch extra in Xanten Krossangs gekauft.«
»Das heißt ›Croissants‹«, verbesserte Gertrud. Katty biss sich auf die Lippen, hätte sie nur von französischen Hörnchen gesprochen, ärgerte sie sich, und beschloss ihr Experiment fortzusetzen.
»Die bordeauxfarbene Bluse steht dir wirklich ausgezeichnet, Gertrud. Du siehst so frisch und erholt damit aus.« Katty bemühte sich um einen sehr fröhlichen Ton, sie betrachtete ihre Schwester aufmerksam, konnte aber keinerlei Veränderung an ihr feststellen. Vielleicht klappte das mit dem Loben nur bei schlichteren Naturen, Gertrud jedenfalls reagierte überhaupt nicht.
Katty seufzte. »Ich decke den Frühstückstisch, ihr könnt ja nachkommen«, sagte sie und ging. Ich lasse mir meine gute Stimmung heute nicht nehmen, beschwor sie sich auf dem Weg in die Küche. Niemand konnte sie so gezielt und mit so wenig Aufwand provozieren wie Gertrud. Manchmal reichte schon ein Blick und Katty fühlte in sich ein Aufbegehren gegen die Arroganz, die Gertrud ihr gegenüber an den Tag legte. Was bildet die sich eigentlich ein, schnaubte sie. Komm, egal, ermahnte sie sich gleich wieder, Gertrud ist alt, da kann man schon mal verschroben werden. Ich höre einfach nicht hin, das wird sie am meisten ärgern. Katty pfiff extra laut vor sich hin, setzte einen Topf mit Wasser auf und kochte Eier. Sie platzierte einen Brotkorb mit Croissants in der Mitte des Tisches, dazu Marmelade, Butter und Käse.
»Frühstück ist fertig!«, rief sie ins Wohnzimmer.
Es dauerte fünf Minuten, bis erst Paula und schließlich auch Gertrud am Tisch saßen. Katty nahm den Brotkorb und reichte ihn Gertrud.
»Hier, bitte, bedien dich.« Ihre Schwester blickte suchend in den Korb hinein.
»Hast du kein Brot mehr?«, fragte sie und Katty schloss kurz die Augen, sammelte sich und antwortete in einem Ton, der gelassener klang, als ihr zumute war:
»Natürlich habe ich Brot da, aber ich dachte, ich würde euch mit den … französischen Hörnchen eine Freude
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