Wir sind doch Schwestern
zu nass, da kommen wir mit unserer Drillmaschine nicht durch.«
»Glauben Sie denn, wir kommen zu zweit mit dem Ding zurecht?«, fragte Katty skeptisch.
Heinrich Hegmann besaß ein Drillgerät, das von zwei Pferden über den Acker gezogen wurde. Um es zu bedienen, brauchte man mindestens drei Männer: einen, der die Pferde führte, einen weiteren, der die Maschine gerade hielt, damitdie Furchen nicht kreuz und quer über den Acker verliefen, was eine schweißtreibende Arbeit war, gerade bei feuchtem Boden. Der Dritte ließ das Saatgut ein, und im Idealfall lief noch ein Vierter an den Furchen entlang und drückte sie zu, damit die Krähen nicht gleich alle Samen wegpickten.
»Außerdem ist die Stute trächtig und wird bald ihr Fohlen bekommen. Sie wird das Drillgerät nicht mehr ziehen können«, fügte sie hinzu.
Heinrich nickte: »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Vermutlich sollten wir einfach mit dem Säsack aufs Feld gehen, so wie früher. Dann ist die Ernte vielleicht nicht so gut, aber es wird reichen, um über den Winter zu kommen. Falls uns nicht ohnehin die Tommys alles wegnehmen. Man weiß ja nie, was passiert, wenn der Krieg zu Ende ist.«
»Es ist ihr erstes Fohlen«, sagte Katty, die entschlossen war, jeden Kommentar zum Thema Krieg für heute zu überhören. »Ich werde heute Nacht lieber im Pferdestall schlafen. Das ist mir weiß Gott lieber, als wegen irgendwelcher versprengten Soldaten und Plünderer Wache zu halten.«
»Also gut«, sagte Heinrich, »wir ziehen um.«
Das war nicht das, was Katty erwartet hatte. Sie hatte gedacht, Heinrich würde im Kuhstall bleiben oder in sein Schlafzimmer zurückkehren. Aber sie musste zugeben, dass sie sich in dieser Situation allein im Dunkeln unbehaglich fühlte. Also beeilte sie sich und platzierte die Matratzen diesmal auf der Tenne des kleinen Pferdestalls. Unter normalen Umständen hätte Theodor die Nachtwache übernommen, denn ihm hatte die Stute gehört, die jetzt fohlen würde. Und einen Moment stellte sie sich vor, wie es wäre, mit Theodor im Stall zu sitzen und den Beginn eines neuen Lebens zu bewachen.
13. März 1945
Von Flamen und Fohlen
Zwei Nächte später war es so weit: Die Stute rammte sich ihr Maul in die Seite, sie war unruhig, tänzelte auf der Stelle, zog ihr Hinterbein bis zur Bauchdecke und schlug kraftvoll aus. Ihr Huf traf die hölzerne Stallwand und hob sie beinahe aus den Angeln.
Katty und Heinrich beobachteten, wie die Stute sich um die eigene Achse drehte, in wenigen Augenblicken würde sie sich auf den Boden werfen, und etwa eine halbe Stunde später wäre das Fohlen da, wenn nichts schiefging. Aber da es sich um eine junge Stute handelte, konnte man nie sicher sein, ob bei der Geburt alles nach Plan verlief. Katty war skeptisch. Die Stute war auf dem Hof gezogen und schon als Fohlen kapriziös gewesen, jetzt als erwachsenes Tier benahm sie sich zickig und launisch. Und auch, wenn sie noch nie jemanden verletzt hatte, so hatte sie doch die meiste Zeit die Ohren zur Warnung flach an den Kopf gelegt.
»Überzüchtete Mähre«, nannte Katty sie für gewöhnlich und ärgerte das Tier, indem sie vor seinem Stall auf und ab lief. Das hatte sich natürlich geändert, seit sie die Stute vergangenes Jahr im April hatten decken lassen. Edda war eine wunderschöne Friesenstute, und ihr Fohlen würde wertvoll sein. Reinrassige friesische Kaltblüter waren selten, sie warenbeinahe ausgestorben. Dabei waren diese Tiere besonders schön, für Kaltblutpferde ausgesprochen elegant und gelehrig. Heinrich hatte Eddas Mutter damals in Zahlung genommen. Zu Beginn des Krieges, in den Dreißigerjahren, waren verarmte Flamen übers Land gereist. Fast wöchentlich war eine Gruppe auf dem Hof vorbeigekommen und hatte nach Arbeit gefragt. Manche hatten ihr Hab und Gut in einem Handkarren hinter sich hergezogen und den Bauern gegen etwas Essbares geboten, was sie besaßen. Manchmal waren wertvolle Sachen darunter gewesen, die die armen Streuner im wahrsten Sinne des Wortes gegen »en Appel und en Ei« eintauschten. Sie waren eines Tages auch zu ihrem Bruder Josef auf den Hof in Mörmter gekommen, erinnerte sich Katty, während sie Edda beobachtete, die immer noch unruhig in ihrer Stallbox hin und her ging. Die Flamen hatten ihrem Bruder ein Bild angeboten, von dem sie behaupteten, es sei ein echter Rembrandt. Josef Franken hatte keine Ahnung, wer oder was Rembrandt war. Katty genauso wenig, aber Josefs frisch angetraute Ehefrau José
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