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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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schon raus!«
    Tatsächlich jedoch war gar nichts in Ordnung. Sie konnte nämlich nur ein Bein des Fohlens ertasten, vermutlich war das der Grund für die schwere Geburt. Das Fohlen hatte sich mit den Vorderbeinen im Bauch verkantet. Die Stute lag inzwischen völlig apathisch da, und Katty fragte sich, ob sie es schaffen würde.
    Als das Tier keinerlei Regung mehr zeigte, kniete Heinrich sich auf den Bauch der Stute und presste für sie mit. Mit vereinten Kräften, Heinrich am Bauch, Katty im Bauch, zerrten sie das Fohlen der Welt entgegen. Als die Fohlenbeine endlich aus dem Bauch herauskamen, wechselte Heinrich die Position und stellte sich neben Katty.
    Nun schien auch die Stute wieder zu Kräften zu kommen. Edda schnaubte und schlug mit dem Kopf, sie stupste mit der Nase gegen ihren Bauch und mit einer unerwarteten Presswehe schoss schließlich das Fohlen aus dem Pferdeleib.
    Heinrich und Katty, die sich mit ihrem ganzen Gewicht in Rücklage gestemmt hatten, fielen ohne Widerstand um wie Kegel.

    »Immer langsam mit den jungen Pferden«, scherzte Heinrich und Katty musste lachen. Sie versuchte verzweifelt, sich aufzurichten, hatte aber angesichts des Zentners Fohlengewichts keine Chance. Das Kleine lag schräg über ihrem Körper und war von einer milchigen Haut überzogen. Nur ein schwarzes Ohr stand aufrecht und sah aus wie eine Antenne. Katty entfernte die Reste der Fruchtblase vorsichtig vom Kopf des Fohlens, erst jetzt kam auch das andere Ohr zum Vorschein. Beide Ohren wirkten allerdings völlig überdimensioniert und hingen ein wenig schlapp zur Seite.
    »Ich glaube, Edda hat ein Häschen geboren«, frotzelte Katty. Die Anspannung ließ von ihr ab und Heinrich schien es genauso zu gehen. Immer wieder schauten sie sich das Fohlen an, das etwas belämmert dreinschaute, und lachten laut. Katty japste nach Luft und wunderte sich, dass sie sich kein bisschen ekelte. Denn sie war von oben bis unten mit einer Mischung aus Blut und anderen Pferdeflüssigkeiten besudelt. Aber im Gegenteil: Sie war glücklich und stolz, und sie war schon jetzt ganz vernarrt in das kleine Wesen.
    Seine Mutter anscheinend auch. Mit der Nase stupste die sonst so zickige Edda das Fohlen sanft an und versuchte es zum Aufstehen zu bewegen, aber seine Beine waren einfach zu lang. Immer wieder torkelte das Fohlen wie betrunken und fiel sofort wieder hin. Einmal hatte es sich mühsam aufgerappelt und stand für längere Zeit, Katty und Heinrich applaudierten schon, da rutschten die Vorderbeine doch wieder in einen Spagat und es fiel zur Seite. Benommen blieb es eine Weile liegen und Katty stand auf, um ihm auf die Beine zu helfen.
    Heinrich und sie hatten Tränen gelacht über das ungeschickte kleine Wesen. Beide waren gerührt, aber auch müde von der Arbeit und den Ereignissen und Katty hatte das Bedürfnis, das neue Lebewesen in den Armen zu halten.

    Heinrich hielt sie an der Hand fest. »Lassen Sie das. Es ist ein Tier und wird von selbst auf die Beine kommen.«
    »Was für ein Tag«, fügte er nachdenklich an, und Katty pflichtete ihm in Gedanken bei. Es war ein merkwürdiger Zustand, so allein auf dem Hof, ohne zu wissen, was kommen würde. Es war, als lebten sie in einem anderen Leben, in einem Kokon, in dem alles entrückt war und sich die Bedeutungen verschoben.
    Sie merkte, wie ihr Tränen in die Augen schossen, und sie begann zu schluchzen. Sie dachte an Theodor, an ihre Mutter und die Geschwister, an das Fohlen und Heinrich. Alles vermischte sich und sie hatte ein Gefühl von Trauer und Glück zugleich.
    Heinrich nahm ihren Kopf und drückte ihn an seine Schulter, es schien ihm genauso zu gehen. Sie waren sich in vielen Belangen immer sehr einig gewesen und hatten sich gut verstanden, aber das hier war etwas anderes, spürte Katty. Sie vergrub ihren Kopf an Heinrichs Brust, doch der nahm ihr Gesicht in seine großen Hände und zwang sie, ihren Blick zu heben. Er küsste sie auf die Stirn.
    »Sehen Sie mich an. Ich möchte Ihnen etwas versprechen«, sagte er. »Theodor hat mir kurz vor seinem Tod einen Brief geschrieben. Er hatte Angst an der Front, er hatte es im Gefühl, dass er sterben würde. Ich begreife diesen Brief als sein Vermächtnis. Eine Passage darin, liebe Katty, betrifft Sie. Er hat von Ihnen geschwärmt, von Ihrer Herzenswärme, von Ihrem Witz, von Ihrer Loyalität und Ihrer Liebe zum Tellemannshof. Und er hat mich gebeten …« – Heinrich stockte, und Katty wusste nicht, ob auch er nun von der Trauer übermannt

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