Wir sind doch Schwestern
wurde oder ob es ihm nur schwerfiel, wiederzugeben, was sein Sohn geschrieben hatte. An ihrem Hinterkopf begann es zu kribbeln und ihr wurde flau, weil sie zu wissen glaubte, was in diesem Brief stand.
Theodor hatte sich immer gewünscht, Katty könne Teil der Familie werden. Deshalb hatte er sie mit sechzehn eines Sonntags gefragt, ob sie ihn heiraten wolle. Katty hatte nur gelacht und gesagt, sie könne vom Alter her höchstens seine Mutter sein. Und sie hatte ihn liebevoll einen Dummkopf gescholten, doch Theodor hatte daraufhin trotzig geantwortet: »Warum wirst du dann nicht meine Mutter?«
Möglicherweise hatte er sieben Jahre später einen erneuten Versuch unternommen, sie zum Familienmitglied zu machen. In Katty stritten Angst und Hoffnung miteinander, während Heinrich weiter nach Worten rang.
»… er hat mir das Versprechen abgenommen, dass ich, wie soll ich sagen, er wollte, dass ich für Sie sorge. Egal was passiert, dass Sie immer hier bei uns auf dem Hof zu Hause sind, das war ihm wichtig.« Heinrich atmete hörbar aus. Und auch Katty stellte fest, dass sie die Luft angehalten hatte. Beide atmeten einen Moment schwer vor sich hin, bis Heinrich fast feierlich fortfuhr:
»Katty«, er nahm ihre Hände, »ich möchte Ihnen fest versprechen: Ich werde immer für Sie da sein, ich werde für Sie sorgen, solange ich lebe.«
Was war das, stutzte sie, etwa ein Heiratsantrag? In diesem unwirklichen Moment schien ihr das nicht mehr unmöglich. Was sonst hätte er mit dieser merkwürdigen Rede ausdrücken wollen? Und was sollte sie jetzt tun? Erwartete er eine Antwort? Nach einer Weile sagte sie schlicht: »Ja!«
Heinrich schaute sie an, aber sie konnte diesen Blick nicht deuten. Er nickte bestimmt und antwortete: »Gut.«
»Wie wollen Sie das Kleine nennen?«, fragte er, nun wieder ganz der Alte. Katty war verwirrt, sie hatte sich diesen Moment etwas anders vorgestellt. Vielleicht hatte sie seine Frage missverstanden. Waren sie nun verlobt oder nicht? Sie konnte schlecht danach fragen, also beschloss sie, abzuwarten. Siewürde es schon erkennen. Und bis dahin fühlte sie sich einfach als zukünftige Ehefrau von Heinrich Hegmann.
»Ich soll dem Fohlen einen Namen geben?«, fragte sie.
»Ich denke ja«, schmunzelte Heinrich, »schließlich haben Sie das Pferdchen auf die Welt gebracht. Und deshalb soll es Ihr Fohlen sein. Passen Sie gut darauf auf. Der kleine Kerl ist ganz schön wild.«
Katty betrachtete das kleine Hengstfohlen nachdenklich, rabenschwarz war es, nirgendwo auch nur ein Pünktchen, eine Blässe oder weiße Fessel. Es war wunderschön. Aber konnte sie das Geschenk annehmen? Vielleicht war es so etwas wie ein Verlobungsgeschenk?
»Er muss wie sein Vater mit P beginnen«, merkte Heinrich an und schlug vor: »Wie wäre es mit Peace, das ist Englisch und bedeutet Frieden.«
»Schon«, sagte Katty zögerlich, »aber hier auf dem Land werden sie ihn einfach ›Piss‹ nennen. Ich möchte ihn Pegasus nennen. Das geflügelte Pferd. So, wie er aus seiner Mutter herausgeflogen kam, passt der Name doch.«
Das Fohlen stand inzwischen sicher auf den Beinen, hatte das Euter der Mutter gefunden und trank sich satt. Und Edda tat das, was sie am liebsten tat: Sie legte die Ohren an, bleckte die Zähne und sah Katty böse an.
Der 100. Geburtstag – Samstag
Schwester Schlichters Betriebsgeheimnis
»Sie wünscht sich einen echten rheinischen Sauerbraten zum Geburtstag.« Paula setzte einen gespielt entrüsteten Gesichtsausdruck auf, als sie zu Katty in die Küche ging, und als sie sah, wie deren Gesichtsfarbe bei ihren Worten zwischen weiß und dunkelrot changierte, konnte sie sich ein Lachen nicht mehr verkneifen.
»Das hat sie nicht wirklich gesagt, oder?«, fragte Katty unsicher.
»Doch, und alternativ dazu kannst du ihr den Belgier zum Fraß vorwerfen. Keine Sorge, sie ist seit heute früh wie ausgewechselt und bester Stimmung«, beruhigte sie ihre Schwester schnell. »Sie macht Scherze, meistens natürlich auf unsere Kosten, und möchte gerne mit uns über die Zukunft reden«, Paula musste schon wieder lachen. Sie war achtundneunzig Jahre alt und malte sich aus, über welche Zukunft es wohl noch zu reden galt. Ihr war sehr bewusst, dass der Tod irgendwo da draußen lauerte, und sie machte gerne Witze darüber, wen der Sensenmann wohl zuerst am Schlafittchen packen würde. Sie hatte genug gelebt, fand sie. Nicht, dass sie sich nach dem Tod sehnte, aber wenn er denn käme, würde sie sich nicht
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