Wir sind doch Schwestern
selten gute Nachricht aufzunehmen. Er nahm Katty in den Arm und vollführte dabei ein paar Tanzschritte.
»Ach Katty, Sie haben eine so wundervoll pragmatische Art. Sie haben ganz recht. Und dennoch würde ich gerne zu ihm gehen und mich bedanken.«
»Na, dafür, dass er die Stadt kaputt gebombt hat, finde ich bedanken nicht ganz passend«, bemerkte Katty trocken. Sie war nicht so optimistisch wie Heinrich, der der festen Überzeugung war, dass es nach Hitlers Sturz sofort wieder bergauf ginge. Er war sich sicher, dass die Alliierten die Guten waren und dass sie einen Unterschied machen würden zwischenHitler und all den Menschen, die es in Deutschland auch noch gab. Seiner Ansicht nach konnte es nicht im Interesse eines klugen Strategen sein, ein Land zu zerstören. »Ich muss meine Kollegen aus dem preußischen Landtag treffen. Wir müssen vorbereitet sein. Bald wird alles gut.«
Katty freute sich, Heinrich so gelöst zu sehen, denn sie wusste, dass Theodors Tod ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, auch wenn er bislang alles daran gesetzt hatte, es nicht zu zeigen, auch nicht, als er ihr von Theodors letztem Brief und seinem Vermächtnis erzählt hatte. Noch immer war sie nicht sicher, in welchem Verhältnis sie nun zueinander standen, aber Heinrich würde etwas so Wichtiges wie eine Verlobung bestimmt vor Zeugen wiederholen, wenn er es denn so gemeint hatte. Ein Eheversprechen galt schließlich wie ein Vertrag, und so etwas machte man nicht zwischen Heu, Stroh und Pferdenachgeburt.
Katty gab sich nicht weiter ihren Fragen und ihrem Zweifel hin, nahm stattdessen seine Hand und zog ihn hinter sich her. »Kommen Sie. Wenn die Zukunft so rosig ist, wird man wohl ein Gläschen darauf trinken dürfen.« Sie stiegen in den Keller hinab und Katty ging zielstrebig auf die eingelagerten Flaschen zu. Sie suchte nach einem besonders guten Birnenschnaps, den die Bauern hier in Wardt brauten. Ein Schlückchen davon wäre jetzt genau das Richtige. Katty ging in die Hocke und stöberte in den halb leeren Regalen, als ihr Blick auf etwas Merkwürdiges am Boden stieß. Kaum hatte sie verstanden, worum es sich handelte, schnappte die Hand auch schon zu und hielt sie erstaunlich fest.
Katty schrie auf. Sie wusste nicht, ob vor Schreck oder vor Schmerz. Verzweifelt versuchte sie, den Angreifer abzuschütteln, doch sie war in keiner Position, aus der heraus man eine große Kraft entwickeln konnte. Endlich sprang Heinrich hinzu.
»Lassen Sie die Frau los!«, schrie er den Soldaten an. »Wer sind Sie?« Und als er keine Antwort bekam, stellte er fest: »Sie brauchen Hilfe.« Der Mann rührte sich nicht.
»Haben Sie denn nicht verstanden? Sie müssen verarztet werden.« Heinrich nahm die Hand des Mannes und versuchte, Kattys Arm zu befreien. »Helfen Sie mir und machen Sie sich los«, herrschte Heinrich sie an, »von dem Mann geht keine Gefahr aus.« Katty war immer noch verstört, stellte aber fest, dass sie sich mit einer Drehung aus ihrer misslichen Situation befreien konnte. Sobald sie sich aus der Umklammerung gelöst hatte, rollte der Körper des Soldaten schlaff zur Seite. Jetzt erst sah sie, dass der Mann ein Deutscher war. Er trug eine Wehrmachtsuniform, die nass und schmutzig war. Er war fast noch ein Junge und sah aus, als wäre er höchstens sechzehn. Und er lag im Sterben. Jetzt, da er auf dem Rücken lag, sah man, dass er sich in der Bauchregion eine große Wunde zugezogen hatte. Er war über und über mit Blut verschmiert, nur sein kleines Jungengesicht war blass und beinahe sauber. Katty schluckte. Die großen Augen starrten sie ängstlich an. Er schien etwas sagen zu wollen, Heinrich beugte sich über ihn. Mit dem Ohr fast an seinen Lippen schaute er Katty an. »Was können wir tun?«
Katty wusste es nicht. Sie schüttelte den Kopf. Dann nahm sie den Birnenschnaps aus dem Regal und schenkte ein kleines Gläschen ein. Vorsichtig hob sie den Kopf des Jungen an und benetzte seine Lippen. Das Gesicht verzog sich und Heinrich lächelte ihn an.
»Na, das schmeckt dir wohl? Komm, trink noch einen Schluck, das wird dir guttun!«
Ob der Schnaps ihn getötet oder getröstet hatte, konnten Katty und Heinrich nicht klären, aber mit dem nächsten Schluck verschied der junge Soldat. Katty bekreuzigte sich, Heinrich ebenfalls. Dann schloss er dem Jungen die Augenund durchsuchte seine Taschen nach einem Hinweis auf seine Identität. Er fand nichts.
Eine Weile knieten sie schweigend neben dem Toten, dann nahm
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