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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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und dabei betonte er das erste über die Maßen, »am beeindruckendsten?« Wollentarski hielt das offenbar für ein gelungenes Kompliment, und alle am Tisch quittierten die Formulierung mit fröhlichem Gejohle.
    »Sie haben es begriffen, junger Mann«, flötete Gertrud, »man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben. Wer weiß, was ich noch alles erlebe?«
    Wollentarski lachte. »Sicher, sicher, aber bevor wir in die Zukunft schauen, lassen Sie uns doch zurückblicken. Was hat Sie geprägt?«
    »Die Pille«, warf eine Nachbarin albern ein, und dann riefen alle durcheinander:
    »Mondlandung!«
    »Telefon!«
    »Emanzipation!«
    »Das Auto!«
    »Starker Kaffee!« – »Hä, starker Kaffee? Den gab es doch auch schon vorher, du Tröte!« – »Ach so.«
    »Antibiotika!«
    »Radio!«
    »Genau, und später Kino und Fernsehen, überhaupt die Medien«, schwärmte Katty und versuchte, die Aufmerksamkeit desJournalisten zu erlangen. Doch Gertrud war nicht bereit, sich die Show stehlen zu lassen. Sie räusperte sich sehr laut:
    »Nun seid mal ruhig, Kinder. Der Herr Wollentarski hat mich ganz ernsthaft gefragt. Also soll er auch eine ernsthafte Antwort bekommen. Wissen Sie, ich bin in einer Zeit geboren, die man Belle Époque nannte. Albert Einstein entwarf seine Relativitätstheorie, der Jugendstil verschönerte das Leben und dann kam der Erste Weltkrieg. Und dennoch ging das Leben nach 1918 weiter, bahnte sich seinen Weg durch die Gräber und Lazarette. Es wurde wieder gefeiert, es wurde das Radio erfunden, es gab Filme, elektrisches Licht war überall. Und die Demokratie. Bis zum Zweiten Weltkrieg, der all den Fortschritt wieder zunichte machte und noch mehr Zerstörung und Verheerung anrichtete als zuvor der Erste. Nun sind wir wieder in einer Phase des Aufbaus. Wie haben Computer erfunden und Fernsehen und Raketen, wir haben die Freiheit und die EG . Ich freue mich über jeden Fortschritt, aber ich fürchte mich vor dem nächsten Rückschritt. Die Menschheit kommt mir vor wie ein Kind, das einen Turm baut, immer höher, immer größer, aber zwischendurch verspürt es unbändige Lust, alles zu zerstören. Und je höher das Kind baut, umso mehr Kraft wendet es für die Zerstörung auf. Ich wünschte mir einen strengen Vater für dieses Kind. Vielleicht mehr Gottvertrauen, mehr Glauben, um Kriege zu verhindern. Also, die größte Erfindung der Menschheit, Herr Wollentarski, ist Frieden. Ich bin mir nur nicht sicher, ob der wirklich schon erfunden ist.«
    Die kleine Gesellschaft schwieg einen Moment andächtig.
    »Das hast du gut gesagt, Gertrud«, pflichtete Katty ihrer Schwester bei und schien ehrlich stolz auf deren geschliffene Rede. Die hat sie doch bestimmt vorbereitet, überlegte Paula, das würde zu ihrer perfektionistischen Schwester passen. Auch Wollentarski schien beeindruckt. Der hätte sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass er mal eine politische Diskussion mit einer Hundertjährigen führen würde.
    »Haben Sie jemals für den Frieden demonstriert?«, lautete seine nächste Frage, und Paula freute sich auf das, was jetzt von ihren beiden konservativen Schwestern zu erwarten war: eine Schimpftirade.
    »Um Gottes willen, nein!«, stieß Gertrud auch prompt aus, warf den Kopf nach hinten und ihre langen dünnen Finger umrahmten dabei ihr Gesicht. Ein bisschen erinnerte Paula diese Geste an Edvard Munchs »Der Schrei«. »Demonstranten, das war nichts für uns. Diese langhaarigen, unrasierten Störenfriede. Nein, mit denen wollten wir nichts zu tun haben«, erklärte Gertrud, und Paula blickte zu Katty, die wahrscheinlich gerade zur Hochform auflief. Und richtig, da ging es schon los:
    »Wofür sind die denn auf die Straße gegangen?«, begann sich ihre kleine Schwester zu ereifern. Politik war ihr Steckenpferd und es gab ein paar Reizworte, auf die Katty immer mit heftigem Gezeter reagierte. »Wohngemeinschaft« gehörte zu diesen Reizworten, »Sozialisten« und natürlich auch »Demonstranten«.
    »Dieses Pack will doch gar keinen Frieden«, schob Katty nach, und Paula versuchte erst gar nicht, den Zusammenhang zu verstehen. »Die wollen zu den Russen. Bitte schön, sollen sie doch gehen und mal schauen, wie es da zugeht, wenn es ihnen besser gefällt. Die wollen nur stören. Die sollten lieber vernünftig studieren, statt mit Plakaten die Straßen zu blockieren.«
    »Na ja«, entgegnete Wollentarski vorsichtig und gab damit Kattys politischem Furor neue Nahrung, »immerhin ist der Kalte Krieg ja nun

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