Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
einfach hinaus!« rief ich.
    »Heut' abend hat er eine Versammlung ... Da gehn wir alle hin«, erzählte mein Freund statt jeder Antwort. Ich polterte. Wir trafen einen anderen Bekannten Schorschs, sehr elegant, mit Hornbrille, ungewöhnlich breitmäulig lächelnd. Ein beschäftigungsloser, spintisierender, literarischer Adeliger aus Berlin war es, der auch »in Revolution machte«. Äußerst beweglich war er, einen koketten Gang hatte er. »Ado von Achenbach«, stellte Schorsch ihn mir vor.
    Wir gaben uns die Hände. Der kleine Mann fing sofort zu diskutieren an. Ich erinnerte mich, ihn einmal im Simplizissimus und in der früheren Wohnung des Holländers gesehen zu haben. Er erzählte, im Rätekongreß sei vor einigen Tagen eine Polizeiabordnung gewesen und habe Mühsam und Levien verhaftet, nach einigen Stunden aber wieder entlassen.
    »Überhaupt - jetzt geht's wieder aufs Letzte ... Entweder Räterepublik oder Reaktion ... Die Gewerkschaftler und Mehrheitssozialisten hintertreiben schon wieder ... Es ist noch immer Diktatur des Proletariats, aber kein Mensch kennt sich aus«,, redete er weiter und reichte uns auswärtige Zeitungen. Die schrecklichsten Lügen standen darin. Der Vorwärts erzählte von einem Bürgerkrieg in München, von einem mörderischen Gemetzel der Münchner Unabhängigen und Spartakisten unter den Führern der Bayrischen Sozialdemokratie. Die Vossische Zeitung erklärte Arco, den Mörder Eisners, als unzurechnungsfähig. Andere Blätter stellten es so hin, als sei in München kein ruhiger Bürger seines Lebens mehr sicher. Das Berliner Tageblatt sprach schon von einer Räterepublik Bayern. Die Rumpfregierung war noch da und arbeitete mit dem Zentralrat zusammen. Noch war alles unentschieden. Haussuchungen nach aufgespeicherten Lebensmitteln wurden gemacht, ein Erlaß Tollers hatte angeraten, die großen Hotels zu inspizieren und dort beschlagnahmte Vorräte den Lokalen der Arbeiterviertel zuzuteilen, eine Aufforderung an alle Bürger zur Waffenablieferung war ergangen, sonst nichts. Kreß von Kressenstein, der deutschnationale Verleger Lehmann, höhere Offiziere, Studenten und sonstige rechtsstehende Persönlichkeiten waren als Geiseln im Hotel Bayerischer Hof .
    »Oberst Epp sitzt in Coburg und wirbt Freiwillige für die Weiße Garde ... In Württemberg und Baden, überall sind NoskeAnwerbestellen ... Alle auswärtigen Studenten lassen sich einreihen ... Die Münchner Garnison steht sehr wacklig«, berichtete Achenbach pessimistisch.
    Flieger kreisten in der Luft. »Was machen denn die?« fragte ich. »Die bringen Aufklärungsflugblätter aufs Land«, erfuhr ich. »Wie steht's denn da draußen?« erkundigte ich mich abermals. »Solang Gandorfer bei uns ist, geht's ja noch leidlich, aber meistens sind die Bauern verhetzt und wollen nichts mehr liefern«, sagte Achenbach. »Und hier ist alles uneinig«, brummte ich. Mir graute.
    »Servus!« sagte ein sehr blasser, hagerer junger Mensch mit schmalem Gesicht und gesellte sich zu uns.
    »Ah, Tautz! Servus!« grüßten Schorsch und Achenbach und fragten nach neuen Nachrichten.
    »Der Generalstreik soll vorläufig abgebrochen werden ... Bewaffnung wird beraten, Landauer und Marut sind Kultusräte«, erzählte er. Dann kamen wir auf die Versammlung Gräsers zu sprechen und wurden heiterer. »Das muß eine Gaudi werden«, rief Tautz. »Ja und dann gehn wir alle mit zu Schorsch und ekeln den Kerl 'raus«, schlug ich vor.
    »Überhaupt, warum erscheint ihr so wenig im Künstlerrat, ihr Drückeberger!« räsonierte Tautz.
    »Ich bin Privatperson ... Und überhaupt diese ganzen Künstler, da bin ich mißtrauisch ... Zu was überhaupt immer der Unterschied: Künstler und Proletarier? ... Entweder man stellt sich in eine Reihe mit dem Arbeiter oder man bleibt weg ... Wenn's so ist, brauchen wir keinen Künstlerrat«, warf ich ein.
    »Wir sind doch Proletarier!« meinte Tautz und forderte mich abermals auf, im Landtag zu erscheinen. Ich nickte beiläufig. Wir gingen auseinander und trafen uns abends in der GräserVersammlung alle an einem Tisch, der Zimmerherr mit seiner Freundin, Tautz, Achenbach, Schorsch und ich. Der Saal war ziemlich voll. Geraucht sollte nicht werden. Wir rauchten. Es ging auch bereits laut zu. Vorne saßen schwärmerische Mädchen mit Gretchenfrisur, alte Jungfern, Wandervögel, idealistische Sonderlinge und dergleichen. Auch biedere Biertischler, Parteigesichter, typische Spartakus-Gestalten und anderes Volk war da.
    »Was soll denn

Weitere Kostenlose Bücher