Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
unablässig und mit größter Hitzigkeit. Im Hotel Wagner tagte eine proletarische Versammlung in Permanenz. Spartakisten und Unabhängige hielten dort ständig Reden, Mehrheitssozialisten wurden niedergeschrien. Resolutionen wurden abgefaßt, Abordnungen zusammengestellt, die ihre Forderungen stets sofort dem Zentralrat im Landtag überbrachten. Ein fortwährendes Aus und Ein, ein dauerndes Hin und Her war es.
    Einmal kam ich mit Schorsch wieder zu einer solchen Permanenztagung. Auf der Galerie standen wir. Ein energischer Matrose führte das Wort. Auf einmal zerteilten sich drunten die Massen, auf einmal brach der Redner ab, und durch eine erschreckte Menschengasse marschierte Polizeiwehr, ging vor bis zur Tribüne, erstieg sie und nahm darauf Aufstellung. Ein Trommler trommelte in einem fort, und die Soldaten richteten ihre Karabiner schußbereit in den Saal. Panisch erschreckt, rannten die Leute ineinander, jeder suchte sich hinter seinem Vordermann zu decken. Der Matrose fuchtelte und schrie. Ein Soldat schob ihn weg und schoß plötzlich in die Luft. Jetzt wurde es lebensgefährlich. Ein furchtbares Gedränge entstand. Schreie, Rennen, Trampeln, Brüllen und dazwischen gellende Klagerufe. Der wilde Menschenknäuel schob sich den Ausgängen zu. Wer nicht mitkam, wurde überrannt. Über die wüst um sich schlagenden Liegenden stampften die Fliehenden. Wir auf der Galerie stürzten entsetzt auf die Notausgänge und Fenster, drückten sie durch und bemerkten auf einmal drunten auf der Straße ebenfalls Polizeimänner, die auf uns heraufzielten. Ein unbeschreiblicher Schreck fuhr in alle, wieder jagten wir zurück, liefen über die Treppen hinunter und fielen wie ein durcheinandergeworfener Haufen auf den wirren Menschenknäuel. »Obacht! Ich bin tot!« jammerte jemand unter uns. »Hilfe! Ich werd' zertreten! Hilfe!« schrie es unter meinen Füßen. Ich stemmte mit aller Kraft meine Ellbogen auseinander, drückte den Kopf in die Brust, schloß die Augen und warf die Leute um, stieß immer härter, bekam Hiebe auf Kopf und Buckel, stieß noch mehr, beugte mich und riß ein blutüberströmtes Mädchen hoch, das heulend meinen Hals umklammerte. Ich stürmte vorwärts, hörte und sah nichts mehr. Viele hatten meine Arme erfaßt und drohten mich mit meiner Last niederzudrücken, ich ließ die Arme sinken und mich weiterschieben. Das Mädchen hing an mir und schrie mich taub, ihre Backe lag hart auf meiner Backe, ihr warmes Blut rann mir in den Hals. So kam ich zum Ausgang. Da stand eine kleine Allee von Polizeisoldaten, die ließen jeden nur einzeln durchgehen. Jeder wurde abgegriffen, nach Waffen untersucht und weitergestupst. Einen solchen Stoß bekam ich, daß ich samt dem Mädchen in den Dreck fiel. Einige Sekunden schleiften uns Vorangehende, endlich stand ich wieder, und das Mädchen war weg. Alles glotzte und gaffte. Ich wischte mich ab und holte Atem. Um mich herum fuchtelten und schimpften die Leute auf die Polizeisoldaten ein.
    »Deppen! Rimdviecher! Was macht ihr denn!« plärrten alle. »Wir sind doch Revolutionäre! Warum schießt ihr auf uns?!« bellten wieder welche.
    »Geht heim! Sauhunde! Idioten!« zeterte wieder ein anderer. »Wer hat euch geschickt? ... Was, der Staimer?! ... Der Verräter! ... laßt euch nicht mißbrauchen! Geht heim.! Zieht ab! ... Schießt lieber die Gegenrevolutionäre nieder!« hallte es durcheinander. Und - es war fast komisch - auf einmal wurden die Polizeitruppen leger, ließen die Gewehre sinken und redeten mit den vorderen. »Ja no, mir sind nicht gegenrevolutionär! ... Es hat geheißen, hier gibt's einen Putsch ... Nachher gehn wir halt wieder«, hört« ich, und die Soldaten gingen zusammen und zogen ab.
    Hinter ihnen her marschierten wir in dichtem Haufen dem Stachus zu. »Zur Luisenschul' um Waffen!« hieß es. »Sofort Streik!« brüllte ein anderer. »Zum Zentralrat!« schrien andere. Die Trambahn surrte heran. Sie wurde aufgehalten. Im Nu war ein Kletterer auf dem Dach und riß die Kontaktstange heraus. Der Wagen stand, der andere ebenso. »Streik! Geht heim! Raus aus den Wagen!« brüllten alle und jeder. Die Trambahnführer rissen gemütlich ihre Lenkhebel heraus, stiegen herunter vom Wagen und gingen heim. »Uns ist's gleich, mir streiken schon«, brummten sie. Weiter ging es, eine Menge zog zum Landtag, eine zur Luisenschule.
    »Halt! Halt!« schrie uns die Landtagswache entgegen und legte schon wieder an. Wir stockten, viele liefen davon. »Nicht schießen!

Weitere Kostenlose Bücher