Wir sind Gefangene
Abordnung zum Zentralrat!« rief ein Matrose.
»Ganz gleich! Auseinandergehen! Niemand darf in den Landtag!« schrie die Wache zurück. Immer mehr Leute bröckelten von uns ab. Etliche Minuten starrten wir stumm auf die drohenden Gewehrläufe. »Nichts zu machen!« raunten die zwei Matrosen, die uns führten: »Auf zur Luisenschule!« Wir machten kehrt. Ich ging weg, die Brienner Straße hinunter und kam allein vor das Landtagsportal. »Zum revolutionären Künstlerrat ... Graf heiß' ich«, sagte ich zum Posten. Der ließ mich durch. Nach einigem Herumsuchen und Fragen fand ich das Sitzungszimmer und trat ein. Es waren nur etliche Leute da, Tautz, Achenbach, Stückgold, der Bildhauer Pillartz und mein Zimmerherr. Lässig wie bei einem Unterhaltungsabend saßen sie herum.
»Mensch! Bist du doch mal da!« rief mir Tautz zu und verzog seinen Mund hämisch.
»Wer ist das?« fragte Stückgold mit einer Handbewegung. »Graf! ... Oskar Mariechen!« klärte ihn mein Zimmerherr auf. »Auch revolutionär? ... Was macht er? ... So, Literat! ... Jaja, können wir brauchen«, meinte Stückgold abermals.
»Ihr hockt da und draußen geht's zu auf Mord und Totschlag«, schimpfte ich und berichtete. Alle horchten interessiert auf. Sie schienen nicht das mindeste zu tun zu haben. Als ich auserzählt hatte, ging ein Diskutieren an, die meisten schimpften gegen die Mehrheitssozialisten, mein Zimmerherr forderte sofortige Absetzung Staimers. Es wurde mir immer unklarer, zu was man hier zusammensaß. »Ja, was treibt man denn hier eigentlich?« fragte ich.
»Morgen ist Sitzung wegen unserer neuen Maßnahme«, kauderwelschte Stückgold und lehnte sich in den Tisch, indem er den anderen listig zuzwinkerte: »Der junge Genosse gefällt mir ... Hat sehr ki-ihne Augen ...«
Alles fing zu lachen an. Mein Zimmerherr ging in den Nebensaal, ich hörte Schreibmaschinen klappern, dann kam der Mann heraus und gab mir einen getippten Ausweis, auf welchem stand, ich sei Künstler und Mitglied des revolutionären Rates, hätte überall Zutritt und wäre an keine Polizeistunde gebunden. Ich überflog den Wisch, legte ihn zusammen, steckte ihn ein und sagte: »Wenigstens etwas! ... Wenn ihr mich wirklich braucht, gebt halt Nachricht... Ich geh' wieder.«
»Schon wieder zum Saufen nach Nymphenburg?« fragte Tautz mit leicht ärgerlicher Spaßhaftigkeit.
»Ja, vielleicht, je nachdem! ... Was soll ich denn auch hier tun? ... Ich Verderb' euch ja doch bloß alles«, gab ich zurück.
»Komm nur öfters! ... Es gibt schon Arbeit!« riefen mir noch einige nach, als ich durch die Türe ging.
Ja, ich ging wieder nach Nymphenburg. Warum sollte ich auch nicht? Mir war's angenehm, und anderen schadete es nicht! Und, offen gestanden, ich kam mir ziemlich überflüssig in der revolutionären Bewegung vor. Zutrauen hatte ich zu nichts und niemanden und von mir selber erwartete ich am allerwenigsten. Als es »Nieder mit dem Krieg! Weg mit dem Militarismus!« geheißen hatte, war ich völlig dabei, denn es ging mich ganz an, das begriff ich, weil ich es von Jugend auf haßte. Unter all den späteren Parolen und Schlagwörtern konnte ich mir nichts Rechtes vorstellen. Ich war einer von den Millionen, der nur tätig wird, wenn es um seinen Nutzen geht, der kämpft, wenn er zur Verteidigung gezwungen wird, der sich bloß dann einsetzt, wenn er einen handgreiflichen Sinn hinter der Sache wittert, die er will. Wenn ich genau nachdachte, kam es mir vor, als faßten die meisten Führer den Massenmenschen viel zu kompliziert auf und redeten ihm Dinge in den Kopf, um die er nie ohne Zwang sein Leben in die Schanze wirft. Deshalb bezweifelte ich im Grunde den Erfolg der revolutionären Bewegung, ja noch mehr, bezweifelte ich sogar größtenteils sie selber. Ich war wohl begeistert, wenn sich etwas bewegte, das von denen ausging, die wie ich waren, ich wurde hingerissen von den Massen, nie aber von den Führern. Und ich tat schließlich auch manches, aber faktisch war's doch immer das gleiche: ich lief mit, wenn alle losgingen, ich schrie mit, wenn alle schrien, ich stürmte, wenn man stürmte, sonst fast nichts.
Also fing ich an, Säufer zu werden. Das Leben in der Holländervilla war dazu wie geschaffen. Dort verlief der Tag stets so: Das Frühstück war gewissermaßen eine stärkende Vorbereitung, durch soundso viele Tassen starken Kaffee und genügende Unterlagen kam man ins Wache und zu sich. Meist war's schon elf Uhr, und der langweilige Vormittag diente dazu, mit
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