Wir sind Gefangene
dem Auto in die Stadt zu fahren und die während der vergangenen Nacht kaputtgeschlagenen Dinge, wie antike Spiegel, chinesische Vasen, alte Zierkrüge, Porzellan Miniaturbilder, Leuchter und dergleichen neu zu kaufen. Marietta besuchte noch die verschiedenen Modegeschäfte, kaufte ebenfalls alles mögliche, und zum Schluß wurde bei Böttner, einem vornehmen Frühstückslokal in der Theatinerstraße, ein ausgiebiger Lunch eingenommen, der stets ziemlich lange dauerte. Angeheitert fuhren wir alsdann wieder zurück nach Nymphenburg zum Mittagessen. Die raffiniertest zubereiteten Speisen gab es, und langsam fing das Trinken an. Ich habe nie wieder einen bewanderteren Weinverabreicher und Trinker angetroffen als unseren Gastgeber. Er war ein wirkliches Genie darin, er vollbrachte wahre Wunderleistungen. Eine ganz bestimmte Skala von Weinen, von denen jeder die Stimmung mehr steigerte, wurde durchprobiert. Da kamen erst die leichten, dann moussierende, seltsam erheiternde, endlich schwerere und volle und schließlich wieder welche, die alle Hemmung in einem lösten. Es war wunderbar, wie dieses sorgfältig ausgedachte Durcheinander der Getränke in jedem wirkte. Von der angenehmen Behaglichkeit glitt man in die Sentimentalität und Sangeslust, Melancholie wechselte mit einem heftigen Drang, seinen ganzen Zynismus brillieren zu lassen, man geriet allgemach in einen gewissen Schwebezustand, aber das Hirn war ungeheuer lebendig, die Gedanken jagten gleichsam in eine immer kühnere Klarheit, jeder wurde witzig, schlagfertig und sprudelnd gesprächig, Zoten flogen auf, erfinderische Grobheiten zerschwirrten, messerscharf wurde die Unterhaltung, hitzige Ereiferung und lächelnde Überlegenheit besiegten einander abwechselnd, alles Ordinäre und alles Tiefsinnige kam zum Vorschein - es schien, als schwimme man in einem lauwarmen, immerzu prickelnden Wasser und würde fort und fort von den hohen Wellen auf und nieder getragen.
Manche Nachmittage waren auch eintönig. Keiner wußte mit seiner Zeit was anzufangen, faul zerlag man etliche Stunden auf dem Sofa und las gleichgültig, willenlos wartete man auf neue Trinksensationen, Kaffee wurde in Mariettas Turmzimmer getrunken, sie trug Gedichte vor, es kam irgendein Besuch, und man diskutierte, oder der Holländer klimperte ein wenig auf dem Flügel, Davringhausen versuchte ein Bild zu malen, ich unterhielt die Hausfrau. Es kam auch vor, daß man mit dem Auto in der Gegend herumfuhr, aber eigentlich war alles nur ein Warten auf das nächste Gelage. Ständiges Sattsein, Sorglosigkeit und ein Reichtum, der sofort jeden Wunsch erfüllen kann, sind die verheerendsten Willensvernichter. Ich verlebte wahre Katzenjammerstunden und brachte doch nie einen ändernden Entschluß auf. Manchmal ging ich allein in die Stadt und suchte mein Atelier auf. Das kam mir fremd vor wie eine verbrauchte Erinnerung. Verstaubt war es und roch nach eingeschlossenem Moder. Ich ging wieder. Auf der Straße begegneten mir Pegu und Tautz. Lachend trat ich in ihre Mitte und schlang meine langen Arme um ihre Nacken. »Schon wieder besoffen?« fragte Tautz spitz lachend.
»Nein-nein, bloß gemütlich, wunderbar gemütlich!« grölte ich sogleich breit und maskenhaft ordinär heraus.
»Ich bin ja so verkommen, sooo verkommen, wißt ihr! ... Aber es ist ja so wunderschön, sooo wunderschön, diese ganze Scheiße! ... Wunderschön! ... Gewaltig!« Ich plapperte unentwegt weiter und wieherte von Zeit zu Zeit schüttelnd auf. Die beiden konnten nichts tun als lachen. »Mariechen, du bist eine Nulpe! ... Zier dich bloß nicht mit deinem bohememäßigen Aufspielen! ... Du bist ein absoluter Kleinbürger, ein ganz schäbiger Bourgeois, sonst nichts!« warf Tautz mit spaßhaftem Ernst dazwischen, und »Richtig!« brummte Pegu. Aber sie kamen nicht auf gegen mich, denn das war ja auch mit dem Trinken reif geworden in mir: Ich nahm gar nichts mehr wichtig, radikal gar nichts mehr. Gleich trompetete ich fettstimmig spöttelnd weiter: »Jaja, ich hab's ja ewig gesagt! ... Jaja, ich bin ein absoluter Kleinbürger, ein ganz minderwertiger Bourgeois! ... Jaja! ... Im Nebenberuf drollige Figur und Säufer! ... Sehr richtig! Sehr richtig!« Und unverletzbar, abgebrüht, niederträchtig gemein schmetterte ich geräuschvoll weiter: »Jaja, der Mensch ist ja so was Großes, so was furchtbar Großes! ... Frißt Leichen und Gras, säuft Wasser, Bier und Wein, zeugt Kinder und krepiert schließlich, jaja! ... Das-das ist unerreicht
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