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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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bis jetzt, ganz unerreicht! ... Jaja, und plötzlich kommt er manchmal auf die Idee und ärgert sich darüber! ... Seltsam, nicht? ... Jaja, sehr seltsam! ... Und diese Ärgerlichen heißt man dann Revolutionäre, nicht? ... Sehr schön! Wunderbar!« Ich plapperte und plapperte, und lachend gingen wir auseinander.
    Nie war ich ganz nüchtern, nie völlig betrunken, ständig dampfte ich in einem gänzlich gleichgültigen Zwischenzustand dahin und atmete jedesmal förmlich auf, wenn man sich in der Holländervilla zum Abendessen zusammensetzte. Nach diesem fing ja wieder das Zechen an. Da wurde man wieder fidel, und ich konnte meine zotigen, clownhaften Unterhalterspäße anbringen.
    Im Eßzimmer begann's, im Rauchzimmer oder im Wintergarten nahm das Gelage seinen Fortgang und bei besonders lustigen Gelegenheiten auch drunten im gotischen Weinkeller. Das war ein kühles, rundes Gelaß mit hoher Deckenwölbung. Rundum verdeckten Regale die Wände, gefüllt mit uralten, leicht angeschimmelten Weinflaschen, darin die ältesten, besten Jahrgänge. In der Mitte stand ein kleiner, alter Eichentisch, um ihn herum leere Fässer, auf denen man hockte. Seitlich plätscherte ein Wasserhahn immerfort seinen dünnen Strahl in ein kleines Steinbecken. Wir bespritzten uns gegenseitig und überschwemmten schließlich den ganzen Keller mit Wasser, warfen die Weinflaschen an die Tür und gingen mit Fässern aufeinander los. Patschnaß gingen wir endlich in geschlagener Frühe wieder zu Bett.
    Oft und oft gab es Krach. Aus reiner Überreiztheit oder weil ein Wort, das sie ärgerte, gefallen war, schlug Marietta dem Holländer eine hinein, spuckte ihn an und belferte auf uns los. Der Mann schlug wieder, und bald war man im schönsten Raufen. Ich überwitzelte alles, und manchmal löste sich der Sturm auch in Gelächter auf, aber das kam immer seltener vor. Meistens saßen Davringhausen und ich da, schauten unangerührt auf die Balgenden und machten ab und zu aufmunternde Zwischenrufe.
    »Jawohl! Haut's zu! Alles muß in Fetzen gehn! Immer Krach! Krach! Bewegung! Be-eweeegung! Krach! Kra-a-ach!« plärrte ich besoffen und taumelte torkelnd herum, schwang meine Arme und überschrie das Getobe. Der Rauchtisch fiel scheppernd um, die Gläser zerklirrten, peng! tat's, und der Spiegel oder die Fensterscheiben krachten scherbenspritzend auseinander, die Stühle flogen, die zerfetzte Türfüllung brach hinaus, und der schwere Vorhang sackte nieder. Zum Schluß lag alles verwüstet durcheinander, und die Balgerei hatte ein Ende. Wir Gäste gingen schlafen, Marietta rief nicht selten das Auto an und fuhr zu Schwabinger Malern in die Stadt, und der Holländer legte sich zu Bett. Anderntags kam die Hausherrin allein oder mit etlichen Leuten, manchmal holte sie auch der Holländer heim. Dann frühstückte man wie immer, machte Witze über den gestrigen Sturm und belachte die zerscharrten, zerkratzten Gesichter und die demolierten Möbel. Das Leben ging von vorne an. Mein Bruder Maurus kam eines Tages zum Holländer und erbot sich, beste Konditorware zu liefern. Wir schauten uns mit verkniffen-schnüffelnden Blicken an und redeten einige gleichgültige Worte. Ich dachte: Verlang' nur Unsummen und schröpf den reichen Hund gehörig!
    Er hatte leicht zitternde, spöttische Mundwinkel und meinte genauso mit seinem Geschau: Sei ein Hecht, Mensch! Ein echter Hecht! Friß alle auf und niste dich nur fest ein hier. Hecht heißt's sein hier! Wenngleich einer den andern bemißtraute, verstanden wir uns gleichsam im Atmen schon. Maurus lieferte massenhaft feinste Torten und bestes Gebäck. Die Kundschaft rentierte sich.
    Mit der Zeit gewöhnte ich mich völlig an dieses Getriebe. Jede Situation meisterte ich, war das unentbehrliche, belebende Element bei Unterhaltungen und Gesellschaften und gehörte hierher wie der Hund zur Hütte, wie der Wein auf den Tisch.
    Abends manchmal fuhren wir in die Stadt, soupierten in der Bonbonniere oder im Simplizissimus , ein Rudel Lebeweiber und Männer, Maler, Dichter und Künstler speisten mit, Marietta rezitierte unablässig Gedichte von Lichtenstein und van Hoddis und ließ sich bewundern. Nach der Polizeistunde fuhr eine ganze Autokolonne in die Villa zurück. Weitergetrunken wurde, mitunter auch gepokert, Skandal gab es, die Mitgekommenen standen mit peinlichen Gesichtern herum oder verließen fluchtartig die gastliche Stätte. Ich lachte mein schmetterndes Gelächter über alles hinweg.
    Ereignisse, Gegenwart, Zukunft,

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