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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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riesigen Eßpaketen an. Wir nahmen von ein paar Bekannten Abschied und fuhren zum Bahnhof. Um zehn Uhr dreißig trug uns der Zug in die Nacht. Schorsch beschrieb mir die Schweiz märchenhaft. »Da gibt's keinen Schutzmann, alles ist loyal und demokratisch«, erzählte er. Allmählich schliefen wir ein. In Bregenz weckten uns schon schweizerische Zollbeamte. In der hellen Frühe kamen wir in Zürich an, hatten etliche Stunden Aufenthalt und sahen uns ein wenig die Stadt an. Gegen vier Uhr fuhren wir nach Locarno weiter. Nie im Leben war ich so weit gereist und stritt plötzlich mit meinem Begleiter wie irrsinnig über die Richtung. »Wir fahren verkehrt! Wir fahren bestimmt verkehrt, sag' ich!« schrie ich und polterte auf ihn ein. Erst als wir in Locarno einfuhren, beruhigte ich mich wieder.
    »Das ist so was, mit dir reisen!« atmete Schorsch wie erlöst auf. Wir stiegen aus, nahmen für unser letztes Geld Nachtquartier im Hotel Alpino. Am andern Tag wollten wir Gesinnungsgenossen in der kommunistischen Siedlung in Brione aufsuchen, um dort eine Unterkunft zu finden.

X
ERSTE FREIHEIT

    Der Himmel war tiefblau und hing ungeheuer nahe, als wir aufwachten. Seltsam still lag der Hof des Hotels, der eher an ein Kloster als an eine Gaststätte für Fremdenbeherbergung erinnerte. In der Mitte bäumte sich ein zerfallener Springbrunnen, der säuselnd und sanft plätscherte. Die Mauern entlang rankten wilde Reben. Rund um die Stockwerke zogen sich Freigänge, die durch ausgetretene Steintreppen verbunden waren. Man mußte also erst in den Hof und gelangte dann ins Hotel. –
    Wir aßen das Übriggebliebene von der Reisekost, gingen hinunter zum Hausdiener, stellten unser Gepäck ein, bezahlten und begaben uns auf die Straßen.
    »Jetzt haben wir genau noch vier Franken«, sagte Schorsch. Das störte nicht. Eine unbeschreibliche Friedlichkeit war in uns. – Das Leben trug eine reichfarbige, anheimelnde Umkleidung. Schöne, braune Italienermädchen huschten vorüber, die plumpe Trambahn surrte gemächlich durch die engen Straßen, vulgäre Männer lehnten breit an den Ecken. Kaufläden machten bunte, offene, selige Gesichter und über das alles schüttete die Sonne ihren milden, hohen Glanz. –
    Schlendernd gingen wir tiefer in die Stadt, setzten uns auf eine Anlagenbank der Piazza grande und dösten. Ein schäbig aussehender Mann kam an uns heran und sagte so etwas wie: »Papiero, Cartonaggia?« Wir dachten an einen Walzbruder, der sich uns anschließen wollte, und sofort redete ich ihn sehr leger in einem Kauderwelsch von Münchner Deutsch und italienischen Brocken an: »Ah! Auch Lazzaroni! Wir niente! Wir bleiben da und gehen nachher nach Brione hinauf zu Bekannten.«
    Erst jetzt zog der Mann seine Kriminalistenkarte heraus und sagte: »Polizia.« Das verstanden wir sofort. Er gestikulierte außerdem kreuz und quer in der Luft herum und gab uns zu verstehen, daß wir ihm zu folgen hätten. Wir gingen mit.
    »Ah!« sagte ich boshaft lächelnd zu Schorsch. »Ah! So ist's also in der freien Schweiz, aha!«
    Mechanisch tappten wir weiter. Die Sonne schien, der Himmel über uns war blau und klar. Alles war bunt, warm, selig, schön und neu, bloß dieser schäbige Hund nicht, der uns da verhaftete. So was, dachte ich, trifft man auf der ganzen Welt, sicherlich. Und wird gleich sein, ob in München oder in der Schweiz.
    Auf der Polizei mußten wir vor allem unseren Geldbestand vorzeigen. Merkwürdigerweise aber fragte niemand nach Ausweisen, und das war gut, denn in der Eile hatten wir uns darum gar nicht gekümmert. Ich besaß einen sehr oft gestempelten Frachtbrief, einen Heimatschein für Bayern und eine Entlassungsbestätigung aus dem Krankenhaus Karlsruhe, lautend auf meinen Bruder Maurus. Ich witterte schon Einzelzelle und – weil mir Schorsch das erzählt hatte – Abschubsung über die Grenze. Hingegen die Leute konnten fast durchwegs nur etliche Worte Deutsch und schienen auch sonst die Sache nicht weiter wichtig zu nehmen. Ein dicker, kleiner Mann auf einem Drehstuhl blätterte ein Lexikon auf, suchte und suchte, sagte endlich, laut lesend: »Un-gefähr?«
    Er redete schnell und alles durcheinander und wir antworteten nur immerzu: »Nicht Lazzaroni!« Endlich sagten wir die Wohnungen unserer Kameraden und wurden entlassen.
    »Es ist doch ein bißl freier wie bei uns! ... Das ist ja fein!« äußerte ich mich befriedigt, als wir das dumpfe Gebäude verließen. Als wir die Anhöhe von Minusio nach Brione

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