Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
hinan. Von weitem sah ich zwei sonntäglich gekleidete Jungfern mit einem adrett angezogenen Herrn daherkommen. Sie lachten und schwätzten übermütig. Ich kam näher und näher und auf einmal schrien die drei zugleich:
    »Um Gottswilln, der Oskar! Der Oskar!« Das Lachen erstarb im Nu, jedes bekam ein peinliches Gesicht und groß und staunend sahen sie mich an. Sie gingen mit mir ins Dorf und umstellten mich so, daß mich möglichst keiner sehen konnte. Sie schämten sich mit mir. In ein kleines Häuschen kamen wir. Das hatten Theresu und Emma gemietet und Mutter zu sich genommen. Max hatte geheiratet und war in unserm alten Haus. Eugen war wieder nach Amerika zurückgereist, mit Frau und Kindern.
    Man empfing mich wie einen verlorenen Sohn. Max ließ wissen, ich sollte ihm nicht unter die Augen treten, sonst verprügle er mich. Am andern Tag fuhr Maurus mit mir nach München und ich nahm eine Stellung als Bäcker an.

XII
DER GROSSE SPRUNG

    Arbeiten, sparen und wieder zum Teufel, war mein Grundsatz. Nur fort! Fort so weit es nur ging. Wohin, ist gleichgültig! München ist ein Nest! Fort! Fort!
    Unklar wußte ich, daß Jung in Berlin war, daß man dort literarisch was machen kann. Also dahin! Eine große, ganz große Veränderung mußte kommen, etwas, das mich ganz aus den Geleisen des Jetzigen herausriß. So begann ich in München meine Arbeit. Sie war mir mehr Nebending, Mittel zum Zweck.
    Schorsch besuchte eine Malschule, hatte sich ein Atelier eingerichtet und hielt sich Modelle. Die bestahlen ihn, nützten ihn aus und führten Schlachten in seinem Atelier auf. Ich kam selten. Meine Arbeit dauerte ziemlich lange. Von abends elf bis anderntags zwei Uhr nachmittags und oft noch länger. In meinem Zimmer angekommen, setzte ich mich hin und schrieb Novellen, bis ich einschlief. Die Verbindung mit den Anarchisten bestand nicht mehr. Ich hatte keine Zeit.
    Maurus arbeitete damals ebenfalls in einer Münchner Konditorei und freundete sich mit Schorsch an. Es war ein schiefes Verhältnis. Maurus war zynisch und boshaft. Er las viel und hatte sich die Geste des Altklugen und Welterfahrenen zugelegt. Es ist leicht denkbar, daß er gegen mich selbst in kleinsten Kleinigkeiten mißtrauisch war. Er kam aber dennoch sonntags zu mir und spottete: »Ich hab' mir einen neuen Anzug anmessen lassen, hab' mir neue Krawatten gekauft und mir beinahe schon tausend Mark erspart.« Für ihn war ich ein Mensch ohne Willen und Charakter, mit dem sich einzulassen nicht ratsam war. Bei jeder Gelegenheit warf er mir die Geschichte von den dreihundert Mark vor. »Ich trag' dir weiter nichts nach«, sagte er dann meistens mit einem hämischen Unterton, »du bist mir ganz gleichgültig. Es kann dir gehen, wie dir mag, meinetwegen ... Aber der alte Schopenhauer hat schon recht: Der Charakter eines Menschen ändert sich nicht ... das ist eine sehr gute Erkenntnis ... « Er lächelte dann boshaft in sich hinein und stichelte weiter: »Und das sagt er auch so schön, so ganz richtig ... Wie jetzt gleich ... Ja ... Etwa so ... Einmal von einem Menschen betrogen werden und ihm noch ein einziges Mal Vertrauen zu schenken, hieße, sein Geld beim Fenster hinauswerfen ... Hahaha, das ist sehr schön, sehr gut!« Er kam in ein breites Gelächter und weidete sich sozusagen daran, daß ich dagegen nicht aufkonnte.
    Ich war todmüde. Er begann mir vorzulesen. Mir fielen die Augen zu. Er prahlte damit, was er schon gearbeitet und durchgemacht hätte und sagte hinwiederum: »Jaja, das Arbeiten, ha ... Das Geldverdienen mit seiner eigenen Arbeit ... Jaja, haha ... Das ist nicht so einfach, haha ... « Dann ging er. Ich lieh mir Bücher von ihm. Er gab sie mir. Er war aber sehr erpicht auf seine Bücher. Ich vergaß, sie ihm zur rechten Zeit zurückzugeben. Ich hatte mir ein wenig Geld von ihm geborgt für den Anfang und wollte zurückbezahlen, wenn ich mehr hätte. Er sträubte sich nicht beim Leihen, aber jedesmal drängte er und jedesmal sagte er: »Naja ... es wird ja sowieso verloren sein, wie ich dich kenne ... Darin bist du ja ein sehr freizügiger Mensch, wenn du andere betrügen kannst.« Ich stritt schließlich mit ihm, er drängte mich. Ich wurde wütend und ließ eine Zeitlang nichts mehr hören. Als ich einmal schlief, kam er, schlug mit dem Schirmstock auf mich ein und verschwand schleunigst. Der Krach war wieder fertig. Wir trafen uns nicht mehr.
    Schorsch vertat sein Geld und arbeitete eines Tages wieder als Konditor. Nur sonntags trafen wir

Weitere Kostenlose Bücher