Wir sind Gefangene
war in der Nähe. Verlassen und idyllisch lag alles da. Es ging schon in den Frühling hinein. Ich schlug mit meinen Pferden ein entferntes Quartier ein. Peperl meldete nichts, dafür sorgten schon die andern. Es gab schöne, faule Tage und eine drückende Langeweile. Ich lag oft den ganzen Tag in meiner Hängematte, die ich irgendwo aufgetrieben hatte, und las. Damals beschäftigte mich in einem fort der Gedanke, daß in Deutschland jeder Mann nur zwei Jahre zu dienen hatte oder drei bei der Kavallerie. Ich sagte mir jeden Tag, das müßte doch durchzufechten sein, selbst wenn Krieg sei. Ganz einfach seine zwei Jahre abgedient und fertig. Dies wurde direkt mit der Zeit zur fixen Idee bei mir und ich überlegte schon, ob ich nicht einfach zum Major gehen sollte und, wenn's soweit sei, melden sollte: »Verzeihung, Herr Major, meine Dienstzeit ist aus. Ich gehe in die Reserve!«
Ich warb auch bei meinen Kameraden um diese Idee. Die hießen mich verrückt und lachten hellauf. Aber ich beharrte immer wieder auf dem Buchstaben unseres Wehrgesetzes und konnte dabei so überzeugend werden, daß sogar die anderen nachdenklich wurden und sagten: »Jaja ... eigentlich, wenn man's richtig nimmt, machen könnte einem keiner was ... Was gesetzlich ist, ist gesetzlich!« Aber schon im nächsten Augenblick lachten sie höhnisch auf und sagten: »Aber du bist ja irrsinnig! ... Du spinnst ja total, Mensch! Beim Krieg ist das doch ganz was anderes!«
»Was geht mich der Krieg an! ... Hab' ich ihn gemacht? ... Ich folg' nur dem Gesetz!« verteidigte ich mich. »Am ersten Dezember geh' ich in die Reserve, aus!«
»Derweil ist ja der Krieg sowieso aus«, tröstete mich der kleine Kraftfahrer Römer.
»Warten wir's ab!« sagte ich ironisch und war zufrieden. Eines Tages dann mußten wir weiter vor. Ungefähr fünfzig Kilometer vor Kowno. Wir hatten ständiges Wagenquartier. Von fern donnerten die Kanonen, und wenn ein klarer Tag war, hörten wir sogar das dünne Rattern der Maschinengewehre. Vor uns lagen die unserem Stabe unterstellten Eisenbahnbaukompanien, Preußen. Da kam es zu Verlusten. Eine Kompanie, die sehr weit vorne war, litt besonders. Es ging wieder weiter zurück. Dann plötzlich fiel Kowno. Der Major soll als erster mit dem Auto drinnen gewesen sein und nachher dafür das Eiserne Kreuz 1.Klasse erhalten haben.
Kowno war furchtbar mitgenommen. Wir fuhren vor bis zum Memelstrand, luden aus, bewegten uns an leichengefüllten Schützengräben vorbei, durch zerschossene Forts über die Memelbrücke in die Stadt. Am anderen Uferanfang des Flusses lag ein riesiger Schutthaufen. Man sah ungeheuer viel Betrunkene am Rande des Haufens kauern. Polen, Juden, Soldaten, Mädchen, Kinder, Weiber - alles grölte uns entgegen, alles war betrunken. Infanteristen tranken aus Feldbechern und Geschirren, Einheimische aus Eimern, immerzu. Alles lachte, wankte. Man sah die Menschen aus der Erde kriechen mit schäumenden Gefäßen, brüllend scharten sie sich, tranken und lärmten. Es war eine zerstörte Brauerei. Nur die Keller waren verschont geblieben. Wir sprangen hinzu und schlüpften in die Kellerlöcher. Da wurde Unbeschreibliches geleistet. Riesige Bierfässerparaden standen im Zwielicht. Leute hielten Eimer unter, Feldkessel, Konservenbüchsen und grölten besoffen. Ein Infanterist nahm einen Pickel und schlug ein Faß ein. Es krachte und auf einmal spritzte die Flüssigkeit zischend in die übereinandertorkelnden Menschen. Alles überrumpelte sich, watete auf die Ausgangslöcher zu, denn die Flut stieg und stieg. Patschnaß und bierstinkig kamen wir an die Luft.
Als wir in unserm Quartier ankamen, waren wir betrunken, ließen alles stehen und liegen und legten uns in die durchwühlten, zerstörten Zimmer. Peperl stand verzweifelt an der Tür und schrie beinahe weinend seine bittenden Befehle: »So spannt doch wenigstens aus! Richtet doch alles! Wir werden ja alle eingesperrt!« Keiner hörte. Alles drehte sich so schön im Kreise.
Am andern Tag kamen der Major und der Leutnant mit dem Auto von der Front zurück. Alles war getan. Peperl hatte es besorgt. Sogar mir, seinem Feinde, hatte er die Pferde untergebracht. Es war gut. Wir lagen fest. Es gab wenig zu tun. Meistens lungerten wir durch die schöne Stadt. Ich durchschnüffelte die verödeten Häuser und brachte alles mögliche Brauchbare für unser Stabsbüro daher, Papiere, Mappen, Teppiche und Uhren. Unter anderem fand ich auch ein wunderschönes Briefmarkenalbum.
Peperl war
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