Wir sind Gefangene
lassen wir uns nicht niederknallen!« Die Kraftfahrer erzählten, gefangene Russen würden an der Kampflinie verwendet und streikten, gingen nicht mehr aus den Eisenbahnwagen und erfrören dutzendweise, wollten nichts mehr essen und seien erst durch Prügel wieder zahm gemacht worden. Überall gingen Gerüchte um. Ferner saß in jedem Eisenbahner ein Groll gegen unseren Major. »Den trifft es bei der nächsten Gelegenheit«, munkelte man.
Es war entsetzlich kalt. Das Wasser, das von dem nahen Brunnen geholt wurde, hatte bei der Ankunft eine Eiskruste auf der Oberfläche. Meine Füße waren erfroren. Ich stand unbeweglich und starr im Viehwagen und ließ willenlos die Kälte über mich kommen. Weiter ging die Fahrt, durch unendliche Schneefelder. An einer Station sah der Major in unseren Viehwagen. Ich war nicht da und holte Tee in der Küche. Der Pferdebursche schlief. Er bekam »Strengen«. Am Ende der Fahrt sollte er ihn absitzen. Er saß ganz blöde da und sagte immerzu: »Ich bin ruiniert ... Ich bin ruiniert! Das kommt in meinen Militärpaß. Meine Existenz ist kaputt. Ich habe eine Familie!« Er war in Zivil schon Pferdediener bei Freiherrn und Grafen gewesen.
Ich sagte: »Lang' mach' ich den Schwindel nicht mehr.« Der andere jammerte: »Ich bin ruiniert.« Ich sagte: »Scheiße!«
Endlich waren wir am Ziel. Rakischki hieß das Nest. Es war ein kleines Dorf. Weit in den Schneefeldern hielt unser Bauzug. Ausladen hieß es. Ich war starr gefroren. Die anderen brachten mir Schnaps und heißen Tee. Es ging wieder. Ich zog meine Pferde aus dem Wagen. Der Pferdebursche meldete sich krank. Ich hatte also auch seinen Krempel noch zu machen. Die anderen halfen mir. Der Bagagewagen wurde herabgehoben. Ich spannte die Pferde vor, hängte die zwei des Majors und den Fuchsen des Leutnants hinten an den Wagen und fuhr los. Die Offiziere waren mit den zwei Kraftfahrern vorausgefahren. Peperl und die anderen fuhren mit einem Lastkraftwagen ins Dorf zum Quartiermachen. Ich setzte mich allein mit meinem Krempel in Bewegung. Trainkolonnen zogen vorüber, Lastkraftwagen ratterten, überfrostete Armierungssoldaten schaufelten Schnee weg.
Anfangs sah ich scharf auf die angehängten Offizierspferde. Dann kam wieder die Kälte und eine vollkommene Gleichgültigkeit über mich. Der Weg war weit. Stocksteif saß ich auf dem Bock und ließ die vorgespannten Gäule dahinplempern, kauerte mich in meinen Pelzmantel. Als ich ankam, waren die angehängten Offizierspferde weg. Der Leutnant kam: »Wo sind die Gäule?« »Verschwunden«, war meine Antwort.
Der Offizier fing zu kläffen an: »Wenn die Pferde nicht in zwei Stunden da sind, können Sie sich auf Degradierung zum Soldaten zweiter Klasse, strengen Arrest und sofortige Zurückschickung in Ihr Ersatzbataillon gefaßt machen. Stehen Sie stramm, Kerl! ... Trottel! Was glauben Sie denn!«
Ich stand stramm und steif da. Der Leutnant drehte sich in der ihm eigenen operettenhaften Manier wippend um und ging ins Haus. Ich blieb immer noch stehen. Peperl kam gerannt: »Ja Graf! Graf!« »Sollen Sie machen, was sie wollen. Ich bin erfroren!« brummte ich und biß die Zähne knirschend aufeinander, schlug endlich meine Hände warm, schirrte meine zwei Zugpferde aus, führte sie in ein Zimmer des Hinterhauses und band sie provisorisch an.
Die anderen Kameraden kamen gerannt: »Ja Herrgott, Mensch! Du bist ja irrsinnig.«
»Mich friert!« brüllte ich sie an.
»Zimperlicher Schuft! Weiter, los! Wir helfen dir suchen! Glaubst du vielleicht, wir lassen uns wegen einer solchen Dummheit alle in den Strengen lochen!« zeterten sie alle. Abends hatten wir erst die Pferde wieder. Eine vorbeifahrende Trainkolonne hatte sie abgefangen. Auf dem Majorsgaul ritt bereits ein Feldwebelleutnant. Nachdem ich auch die wiedergewonnenen Offizierspferde unter Dach und Fach gebracht hatte, ging ich zum Leutnant und meldete es.
»Die Sache soll Ihnen teuer zu stehen kommen, Sie Kerl!« zischte der wieder. Dann ließ er mich wieder etliche Kehrtwendungen machen und abtreten.
Der Kampf beginnt, dachte ich im Hinausgehen. Anderntags holte mich Peperl. Er sah so komisch drein. »Was ist denn mit dir? Du zitterst ja und bist blaß wie eine Leiche?« fragte ich ihn. »Sie hauen dir deine Strafe hinauf«, sagte er raunend. »So«, sagte ich, »es geht also schon an ... Auch gut.«
»Der Major ist drei Tage nicht da. Du mußt zum Leutnant hinunter. Der ist Stellvertreter. Aber gemeldet muß es dem Major doch
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