Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
immer nicht gelungen, bei ihrer Cash-Bilanz eine schwarze Null zu erzielen. Bleibt die Suche nach möglichen Methoden zur Einnahmenmehrung. Zwischen Montag und Freitag 8.00 bis 16.00 Uhr könnte sie ja eigentlich gut und gerne arbeiten gehen, denn da sind die Kinder in staatlicher Obhut. Allerdings hat sie natürlich kein Auto, und je weiter sie pendeln muss, desto kürzer kann sie arbeiten. Also mit dem Fahrrad zu einem möglichen Arbeitsplatz? Und das in dieser hügeligen, ozon- und feinstaubverpesteten Stadt, gesund ist das natürlich nicht, womöglich wird sie dadurch lungenkrank, überfahren, verkrüppelt, arbeitsunfähig. Besser also, sie könnte sich eine Monatsfahrkarte leisten.
Eine Monatsfahrkarte! Das wäre doch mal was. Der Eintritt in die große weite Welt. Unsere arme Mutter weiß, welche hochtrabenden Ansprüche sie da stellt. Um eine Monatsfahrkarte zu bezahlen, müsste sie nämlich einen Job finden, der noch im herkömmlichen Sinne mit Geld vergütet wird. Geld! Unsere arme Mutter kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal welches verdient hat. Die letzten elf Beschäftigungsverhältnisse waren Praktika in ausbeuterischen Event-Agenturen. Immerhin, nett waren die dort ja alle. Sogar mit dem Chef hat sie sich geduzt. Voll locker die Atmosphäre. Und gerecht war es eigentlich auch, denn Geld hat auch von den 37 anderen Vollzeit-Jahres-Praktikanten keiner verdient, jedenfalls soweit sie das überblicken konnte. Diese schönen Zeiten sind nun leider unwiederbringlich vorbei, seit sie in die missliche Lage gekommen ist, von ihrer Hände Arbeit auch leben zu müssen.
Ach, Geld. Geld. Geld wäre geil!
Heimlich träumt sie von Geld, viel Geld. Geld würde sie sehr glücklich machen, da ist sie sich ganz sicher. Je mehr Geld, desto besser. Sie träumt von einem Job, der die Anschaffung eines Autos erlaubt. Eines dicken, schnellen, neuen Autos. Und eines Ferienhauses. Und einer großen Wohnung, in der jeder sein eigenes Zimmer hat – und in der es darüber hinaus noch ein Klavierzimmer, ein Schminkzimmer, ein blaues Zimmer, ein Turmzimmer, ein Kanarienvogelsingzimmer und ein Freizeit-Gartenlauben-Penthouse-Zimmer gibt. Sie träumt von Prada und Gucci und Kenzo. (Sind die überhaupt noch angesagt? Unsere arme Mutter hat keinen blassen Schimmer.) Sie träumt von freien Samstagen, nur dem Geldverschleudern gewidmet. Sie träumt von einem freundlichen Chauffeur, der die Familie morgens abholt, erst die Kinder absetzt und sie dann weiter zu ihrem großzügigen Büro über den Dächern der Stadt fährt. Sie träumt von eilfertigen persönlichen Assistentinnen, die einen schaumig-leichten Milchkaffee zu kochen verstehen. Sie träumt von Sitzungen, bei denen sie am Kopfende eines langen Glastischs sitzt und leise, aber streng so bedeutende Sätze sagt wie: »Nein, meine Herren, so geht das nicht.« Sie träumt von überbordenden Weihnachtskörben voller französischer Weine, Käse, Kaviar und eingelegter Tomaten, die ihr ihre Geschäftspartner zum Jahresende schicken lassen. Sie träumt von Sektempfängen und Gala-Diners und blutjungen Hostessen in weißen Schürzen, die ihr Canapés auf blank gescheuerten Tabletts anbieten. Vielleicht hätte sie doch noch fünf Kinder mehr kriegen und dann Politikerin werden sollen.
Trotzdem – eine Monatsfahrkarte wäre ein Anfang. Etwas, worauf man stolz sein und womit man im arbeitslosen Bekanntenkreis angeben könnte: »Stellt euch vor, ich verdiene bei meinem neuen Job so viel, dass ich mir schon die Busfahrt zur Arbeit und zurück leisten kann – ohne Miese zu machen!«
Und wer will sich schon ernsthaft einen dunkelblauen BMW, Kostüme aus der Hugo-Boss-Woman-Business-Kollektion und ein nordafrikanisches Aupair-Mädchen ans Bein binden? Die machen doch – bei Licht betrachtet – nur eine Menge neuer Probleme. Die BMWs, weil sie ständig von preußischen Punks zerkratzt werden, die Kostüme, weil sie wahnsinnig schnell knittern und deshalb täglich umständlich aufgebügelt werden müssen, und das Aupair-Mädchen, weil es zu wenig Deutsch spricht, um komplizierte Bügelanweisungen zu verstehen, und diese ohnehin stets mit der Ansage »Isch abe eute meine freie Dag« kontert. Um sich dann auf unbestimmte Zeit zu ihrem 34 Jahre älteren deutschen Freund abzusetzen, weshalb zu den horrenden Aupair-Mädchen-Unterhaltskosten auch weiterhin horrende Kosten für den einheimischen Babysitter kommen, nicht zu vergessen das psychische Drama, das unsere arme Mutter
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