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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Herbold
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ausstehen müsste, weil der 34 Jahre ältere deutsche Freund das Aupair dann doch nicht wie versprochen heiratet, sondern nur schwängert.
    Aber das wäre dann ja wohl, was man Jammern auf hohem Niveau nennt, und daher hier nicht das Thema.
    Derweil hat Mama tatsächlich eine Anstellung in dem anheimelnden Großraumbüro eines Callcenters gefunden, die sogar den Ratenkauf eines gebrauchten Fiat Punto ermöglicht sowie die Anschaffung von einem Paar dunkelblauen Schuhen samt passendem Rock, Bluse und Blazer in einer gedeckt-eleganten Farbkombination erlaubt, die – wie die Kaufhausfachverkäuferin so inständig beteuert, als bekäme sie es bezahlt – »nie aus der Mode kommt«. Und so wähnt sich unsere arme Mutter kurzzeitig finanziell und modisch auf der sicheren Seite.
    Zu Unrecht, wie sich bald zeigt. Zuerst schickt die Wohngeldstelle einen maschinell erstellten Absagebrief ohne Unterschrift. Wohngeldberechtigt sei die Familie nun leider nicht mehr. Das Bezirksamt für schulische und kindergärtnerische Angelegenheiten schickt ebenfalls maschinell erstellte erhöhte Gebührenbescheide rückwirkend zum Vorjahresanfang. Eingegangen sind auch maschinell erstellte Bescheide der Krankenkasse, der Rentenkasse, der Pflegekasse und des Finanzamts. Inhalt aller Briefe, soweit unsere arme Mutter das Beamtendeutsch richtig übersetzt hat: Man wolle jetzt gefälligst auch ein Stück vom Kuchen. Ein persönlich unterschriebener Brief flattert dagegen vom Kindsvater ins Haus. Dort schreibt er in perfektem Juristenjargon, dass er sich künftig noch weniger in der Lage sieht, regelmäßig Geld zu überweisen. Im Gegenteil erwäge er, sich aus gesundheitlichen Gründen, auf die er hier nicht im Detail eingehen möchte, die aber ganz sicher mit dem psychischen Trauma der Trennung zusammenhängen, demnächst aus dem Arbeitsleben zu verabschieden und seine erfolgreiche kinderlose Familienanwältin, die übrigens in ihren Hugo-Boss-Business-Röckchen sehr sexy aussieht, prüfen zu lassen, ob dann nicht sie als seine neuerdings gut verdienende, aber noch immer nicht rechtskräftig geschiedene Ex-Frau ihm Unterhalt schuldig sei.
    Unsere arme Mutter, der schon die Kfz-Versicherungsbeiträge für den Fiat Punto schlaflose Nächte bereiten, weil der Kadett, den man früher mal hatte, immer auf den Namen des damals noch psychisch stabilen Kindsvaters lief, sodass sie als vermeintliche Fahranfängerin jetzt mit ungefähr 700 Prozent des Höchstsatzes eingestuft wurde – was ihr weder bei der Hochzeit noch beim Autokauf jemals jemand in aller Deutlichkeit erklärt hat –, muss nun außerdem fürchten, dass Kind 1, das sich in der Schule leider gar nicht dumm anstellt, später keinen Anspruch auf BAföG haben wird, weshalb eigentlich schon jetzt dringend ein Ratensparplan zur Finanzierung einer Ausbildung abgeschlossen werden müsste, sie aber keine Ahnung hat, aus welchem müden Kreuz sie sich auch noch diese 100 € monatlich leiern sollte. Außerdem wird der Versicherungsvertreter, den sie wegen all dieser diffizilen Fragen zurate gezogen hat, nicht müde, sie von den Vorzügen einer Lebens-, einer Renten- und einer Berufsunfähigkeitsversicherung überzeugen zu wollen: »Glauben Sie mir, ich will Sie da wirklich zu nichts überreden, aber heutzutage keinerlei private Vorsorge zu treffen, gerade in Ihrer Situation als, na ja, sozusagen, äh …«
    »Als Alleinverdienerin, meinen Sie.«
    »Ja, äh, genau. Bei einer Alleinverdienerin ist eine Unterversicherung, wie sie bei Ihnen zurzeit vorliegt, entschuldigen Sie bitte meine direkte Ausdrucksweise, geradezu grob fahrlässig.«
    Zu neuem Job, neuem Auto und neuem Schuhwerk hat unsere arme Mutter jetzt also ungefähr sieben erhöhte Gebührenbescheide, elf lebenswichtige Versicherungen, siebzig Stunden zusätzliche Babysitterkosten, einen hinterhältigen Kindsvater und ein beginnendes Magengeschwür hinzugewonnen. Aber noch immer kein Plus im Vokabelheft. Im Gegenteil.
    Sie versucht es mit Nebeneinkünften. Sie setzt ihre ältere Tochter zwei Wochen auf Nulldiät und zerrt sie dann zu diversen Modelagenturen. Sie bietet die privaten Handynummern und E-Mail-Adressen ihrer Freunde und Bekannten aggressiven Direktmarketingfirmen zum Verkauf an. Sie bezahlt 99 € Grundgebühr für die Aufnahme in die Mitarbeiterdatenbank der Firma »Easy Money«. Die Firma bestätigt überschwänglich den Geldeingang, verspricht ihr ein entspanntes häusliches Arbeiten mit üppigen und ganz sicher demnächst

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