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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Herbold
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Minuten pro Woche, Ferien natürlich durchbezahlt. 118,29 € im Monat wollen diverse global agierende Kommunikations-, Medien- und Versicherungskonzerne für Telefon, Handy, Haftpflicht usw.
    51,09 € im Quartal will das Öffentlich-Rechtliche für seinen staatlichen Informationsauftrag und die Finanzierung von so hochwertigen Formaten wie »Das Hochzeitsfest der Volksmusik« oder »Babs Becker plaudert mit Bunte-TV unter den Palmen von Santa Monica«. Die zwei Kinder unserer armen Mutter, die übrigens genau wie ihre Mama lange unter keiner Palme mehr geplaudert haben, wollen auch allerhand – Diddlblöcke, Rollerblades, eigene Zimmer –, kriegen es aber meistens nicht. Sie sind zum Glück gleichen Geschlechts, schlechte Esser und wachsen sehr, sehr langsam, weshalb die Millionäre, denen C&A, H&M, Aldi, Plus, Lidl und Netto gehören, nur rund 267,06 € im Monat bekommen.
    Dann schreibt Mama alle Gelder, die sie kriegen soll, auf die Sollseite. Das sind nur Peanuts und geht darum ziemlich schnell: Kindergeld vom Arbeitsamt, Wohngeld vom Wohnungsamt, Unterhalt vom Kindsvater. Wobei der Unterhalt eigentlich eine extra Rubrik bräuchte, weil sie den zwar theoretisch kriegt, praktisch aber immer erst nach sieben bösen Telefonaten drei Monate zu spät und dann natürlich auch nur teilweise auf dem Konto hat. Einkünfte aus Renten, Vermietungen, Aktienfonds sowie ausländischen Kapitalanlagen liegen darüber hinaus nicht vor, weshalb unter dem Strich, den sie sorgfältig mit dem Lineal unter die Liste gezogen hat, ein vierstelliger Betrag mit Minuszeichen davor steht. Und so liegt unsere arme Mutter nachts wach und überlegt. Erstens, wie sie zu mehr Geld kommen könnte, und zweitens, wo überall sie noch vermeiden kann, es dann wieder auszugeben.
    Soweit sie es überblickt, sind die Einsparungsmöglichkeiten leider weitgehend ausgeschöpft: Kleidung für Kind 1 und Kind 2 wird hauptsächlich im Second-Hand-Laden gekauft, Kinderschuhe gibt’s bei Tchibo, Hefte und Stifte bei Rudis Resterampe. Und Lebensmittel in Büchsen und vom Discounter. Da kann man übrigens manchmal auch andere tolle Schnäppchen machen: stabile Scheinholzschreibtische, modische Polyesterpullover und praktische Allwetterjacken in Blaugelb oder Gelbblau. Unsere arme Mutter selbst trägt seit Jahr und Tag ihre Kleidung aus besseren Tagen auf, auch wenn die Hosen mittlerweile am Bauch ein bisschen ins welke Fleisch schneiden und innen zwischen den Oberschenkeln, die früher vielleicht doch eine Spur dünner waren, zu starkem Abrieb neigen. Dafür sind die Strickjacken über die Jahre mitgewachsen. Und die hellbraunen Halbschuhe von 1995 werden sicher in der nächsten oder übernächsten Saison wieder modern. Bis dahin müssen sie noch halten.
    Zimperlich ist unsere arme Mutter auch bei der Haushaltsführung nicht. Geheizt wird nur bei Minusgraden und dann auch nur in Zimmern, in denen man sich längere Zeit wach aufhält, also niemals im Schlafzimmer oder im Bad. Frische Luftzufuhr erhält die Wohnung nach dem bewährten Stoßlüftungsverfahren. Außerdem hat die Familie bei »Unser buntes Baumwollinchen« neulich eine praktische senfgelbe Strickrolle erstanden, die jetzt zum Zweck der Bodenritzendämmung innen vor der Wohnungstür liegt, damit die mühsam angestaute Warmluft nicht in den zugigen Hausflur entweicht. Wer trotzdem friert, soll sich bei dem, was er gerade macht, gefälligst ein bisschen mehr bewegen oder morgens kalt duschen, das härtet ab und ist sowieso gut für die Gesundheit. Weitere Sparmaßnahmen: Freunde und Bekannte werden selten und wenn, dann nur zu Jeder-bringt-was-mit-Partys eingeladen; Essensreste dieser Partys überleben wochenlang im Kühlschrank und enden zuletzt in farbenfrohen, wenn auch geschmacklich eigenwilligen Pfannengerichten. Der Gefrierschrank läuft nur auf niedrigster Kältestufe; auf jeden kochenden Topf gehört ein Deckel; Wäsche wird selbstverständlich auf dem Ständer, nicht in einem stromfressenden Trockner getrocknet; der Letzte macht hinter sich das Licht aus, und wer den Fernseher über Nacht auf Standby anlässt, kassiert einen mordsmäßigen mütterlichen Anschiss samt ausführlicher Belehrung über Energieverschwendung, Atomkraftwerke, Umweltverschmutzung und den Untergang der Menschheit insgesamt.
    Aber trotz all dieser wackeren Sparbemühungen, die die Familie regelmäßig an den Rand von Lebensmittelvergiftungen und chronischen Lungenentzündungen bringen, ist es unserer armen Mutter noch

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