Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Anschreiben zu diskreditieren, aber sehen Sie, ich habe viel Zeit und wenig zu tun, und da schreibt man eben auch gern mal persönliche Briefe an irgendwelche Institutionen, in denen man lang und breit sein privates Unglück darlegt. Was bei der Empfangsadresse selbstverständlich niemanden interessiert, außer Ihre erstbeste Büro-Praktikantin, die sie im Ordner »Briefe erregter Bürgerinnen und Bürger« abheften muss.
In der Hoffnung, dass wenigstens Ihre Praktikantin irgendeine Lehre aus meinem bisherigen Werdegang ziehen kann, nehme ich mir an dieser Stelle dennoch die Zeit, ihn kurz zu schildern. Wenn Sie diese Zeilen in der Hand halten, habe ich bereits seit zwei Jahren vergeblich versucht, eine Arbeit zu finden, die mich und meine Kinder einigermaßen ernährt. Und wenn ich »versucht« sage, dann meine ich nicht, dass ich gelegentlich auf dem Weg zum täglichen Brunchen eine Zeitung gekauft habe, um bei Rührei und Latte Macchiato nebenher den Stellenteil oberflächlich durchzublättern, ihn schnell wieder zuzuschlagen und mit dem Verzehr von zwei weiteren Milchkaffees und drei
Apfelschorlen in meinem Lieblingscafé die Zeit totzuschlagen.
Wenn ich »versucht« sage, dann meine ich, dass ich mich in den letzten Jahren auf jede verfügbare Stelle im Bundesgebiet beworben habe, die auch nur im Entferntesten mit den Öffnungszeiten städtischer Schulen und Kindergärten zu vereinbaren ist. Dass ich Hospitanzen gemacht habe, bis ich doppelt so alt war wie meine jeweiligen Vorgesetzten. Dass mir mein Geld für keinen Bewerbungsratgeber zu schade war. Neulich habe ich sogar eine Beratungsstelle für berufstätige Mütter aufgesucht, aber als ich dort das Wort »Wiedereinstieg« aussprach, hoben sich nur mitleidig die Augenbrauen. Wer nicht aussteigt, muss auch nicht wieder einsteigen, ließ man mich wissen. Und wer – wie kann man nur so blöd sein? – einmal ausgestiegen ist, für den sei der Zug in der Regel abgefahren. Ob denn mein Mann nicht arbeite.
Für mein nächstes Leben riet man mir jedenfalls dringend, die Kinder in 10-Jahres-Abständen zu bekommen, »dann können sie sich zu Hause problemlos gegenseitig hüten«, und im Falle eines weiter bestehenden Berufswunsches sollte ich gleich vom Wochenbett aus wieder Anrufe entgegennehmen, ja eigentlich bestenfalls sowieso nur für die paar Stunden der Niederkunft eine Krankschreibung in Anspruch nehmen. Alles andere mache einfach keinen professionellen Eindruck. Und ich solle das auch unbedingt meinen fortpflanzungswütigen Freundinnen weitersagen. (Hab ich.)
»Na, na, na, Mädchen, wer wird denn deshalb gleich den Kopf hängen lassen«, werden Sie jetzt vielleicht sagen wollen. Und Sie haben Recht: Natürlich könnte trotz all der Absagen ein Ruck durch mich gehen, ich könnte das Bewerben aufgeben und alternative Tätigkeits- und Aktionsmodelle ausprobieren. Ich könnte mich zum Beispiel auf dem dritten Beschäftigungssektor engagieren. Gemeinnützig sein. Ich könnte mich in den Kindergartenvorstand wählen lassen, ich könnte einen Fahrdienst für ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger gründen, ich könnte für die Kirchenzeitung schreiben und sie dann noch selbst austragen, ich könnte in der Suppenküche aushelfen, ich könnte im Chor singen, mich als Wahlhelferin melden, zur freiwilligen Feuerwehr gehen, aktive Karnevalistin werden. Dem Schwimmverein könnte ich beitreten und dort Kassenwart werden. Ich könnte an der VHS Portugiesisch lernen oder einen kreativen Schreibkurs besuchen. Ich könnte Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« lesen. Ich könnte all diese Dinge tun, von denen arbeitende Menschen immer behaupten, dass sie sie wahnsinnig gerne täten, wenn sie nur mehr Zeit hätten.
Ich könnte, aber ich tue es nicht. Denn wissen Sie was: Ich hab keinen Bock mehr auf Eigeninitiative, Weiterqualifizierung, Doppelbelastung. Ich – pardon – scheiß auf den ganzen Stress. Ich scheiß auf die Erhöhung irgendwelcher Bruttosozialprodukte, ich scheiß auf die Ankurbelung irgendwelcher Binnenmärkte. Ab sofort verweigere ich mich. Ihnen. Denen. Allem und jedem.
Ich mache jetzt einfach gar nichts mehr.
Oder wenn überhaupt, dann werde ich ehrenamtlich unserem schönen Law-and-Order-Land dienen. Auch und gerade im Interesse meiner Kinder. So nutze ich meine reichlich freie Zeit schon heute unter anderem dazu, meine Nachbarn vom Fenster aus beim Ein- und Ausparken zu beobachten. Mehrere fluchtbereite Täter, die auf den
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