Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Stunden von Ulm nach Umeå. Nicht schlecht, oder? Und apropos Schweden: Die tonnenschweren Pressspanregale eines bestimmten Möbelhauses alleine aufzubauen und aufzustellen war mittlerweile eine ihrer leichtesten Übungen. Und Hammer, Zange, Bohrmaschine waren ihr liebstes Spielzeug.
Braucht sie also einen Mann? Nein. Sie hat auch so alles und jeden gut im Griff. Sich, ihr Leben, ihre Möbel. Und ihren Nachwuchs. Jedenfalls konnte das Söhnchen über die Jahre immerhin an regelmäßiges Zähneputzen und ans Zubettgehen gegen 21 Uhr gewöhnt werden. Während im Kinderzimmer die Benjamin-Blümchen-Kassette dudelt, findet sich die Mama allabendlich mit einem Glas Rotwein auf der Couch ein. Von dort aus schweift ihr Blick über den zusammengelegten Stapel frischer Wäsche, die fertig geklebten Fotoalben, den aufgeräumten Schreibtisch, den alphabetisch sortierten CD-Ständer, die nach Größe aufgereihten Bildbände. Es ist ja wohl offensichtlich, dass hier nichts und niemand fehlt. Und dass die zwei Menschen in dieser Wohnung ein äußerst selbstzufriedenes Leben führen.
Schade eigentlich nur, dass das keiner mitkriegt. Es macht ja leider nur halb so viel Spaß, die ausgeglichenste aller Mütter und die zufriedenste aller Singlefrauen zu sein, wenn keiner da ist, der es sieht. Gerne hätte sie sich gelegentlich im Applaus eines Außenstehenden gesonnt: »Mensch, wie du das alles schaffst. Wahnsinn.«
Dabei war es ja nicht so, als hätte ihr generell der zwischenmenschliche Zuspruch gefehlt. Im Gegenteil, jeden Abend, wenn mal wieder nichts im Fernsehen kam, telefonierte sie stundenlang mit ihrer aktuellen besten Freundin. In diesen Telefonaten ging es um vier Kernthemen: Erstens, sich gegenseitig loben und versichern, dass man eine tolle Frau ist und in Alltags- und Beziehungsbelangen ohnehin sehr weise, wenn nicht sogar unfehlbar. Zweitens, über irgendwen ablästern. Drittens, kurz das Thema Männer streifen. Viertens und letztens: Gemeinsam das Single-Gebet sprechen. Es war ein Gebet in unzähligen Variationen. Zum Beispiel:
»Du, wenn ich den Stress bei Jasmin und Patrick jetzt sehe, da bin ich heilfroh, dass ich mich nicht auch noch mit einer Beziehung rumärgern muss. Ich kenne sowieso überhaupt keine Pärchen, bei denen man sagen könnte: super Beziehung.«
Oder: »Ich bin ja zur Zeit gar nicht auf der Suche. Ich bin so total zufrieden mit meinem Leben. Da würde ein Mann echt nur stören.«
Oder: »Erinnerst du dich noch an das Drama mit Alex? Wie ich da gelitten habe? Gut, dass ich darüber endgültig weg bin.«
Die Telefonfreundinnen wechselten übrigens gelegentlich. Immer, wenn sich eine trotz ausgiebiger Bekundungen, was für ein überzeugter Single sie sei, schlussendlich doch in den Schoß einer Beziehung geflüchtet hatte, erschien umgehend eine neue beste Freundin am Horizont. Die Dialoge blieben dieselben. Lob, lob, läster, läster, Männer, Männer, Single-Mantra: Wir sind toll – Männer sind blöd –, gut, dass wir alleine sind.
Aber irgendwann geschah das Unfassbare: Nach einigen Jahren und vielen astronomischen Telefonrechnungen wurde es ihr auf einmal langweilig, jeden Abend vier Stunden lang mit einer Frau zu telefonieren, die in allem genau der gleichen Meinung war wie sie selbst. Klar hörte sie immer noch gerne, was für eine »outstanding« Persönlichkeit sie doch war. Aber sie hätte es, ehrlich gesagt, lieber wieder seltener und dafür zur Abwechslung mal aus dem Mund eines Mannes gehört.
Dazu kam – bei selbstkritischer Eigenbetrachtung – noch etwas anderes. Es war ein bisschen peinlich, aber es ließ sich nicht länger verleugnen: Sie war über die Jahre in allem so grässlich praktisch geworden. Bloß keinen Aufwand betreiben. Ausgiebig kochen, um dann mit einem hibbeligen Kind am Tisch zu sitzen, das bestenfalls schmatzt und schlingt, schlimmstenfalls nörgelnd im Essen rumstochert, um nach zwei Minuten aufstehen, weiterspielen oder Nutellabrot essen zu wollen – das lohnt sich nicht. Morgens frischen Kaffee aufbrühen und Milch aufschäumen? Für die halbe Tasse, die sie dann vielleicht trinkt – macht doch keinen Sinn. Stattdessen gibt es Diät-Cappuccino-Pulver in vorportionierten Tütchen. Und aus dem gedeckten Tisch mit Marmelade, Käse und Wurst ist ein Buttertoast im Stehen geworden, während die Stullen für den Kindergarten geschmiert werden. Alleine an den großen Esstisch setzen vermeidet sie generell. Höchstens pflichtbewusst, wenn das Kind seine
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