Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
abendlichen Eiernudeln mit Gurke isst.
Auch bei Garderobe und Intimpflege hat sich eine gewisse Schlampigkeit eingeschlichen. Sprich: Gereinigt wird nur das Nötigste, angezogen nur noch das Bequemste. Morgendliches Duschen, ja. Aber Bikinizone rasieren, wozu? Von der Bein- und Achselbehaarung ganz zu schweigen. Zuletzt ließ sogar ihre Lust nach, sich die Haare zu waschen oder zum Friseur zu gehen. Wo doch auch ein regenbogenfarbenes Haargummi die Fransen gut aus dem Gesicht hält. Kopfabwärts sieht es nicht besser aus: Ihre Unterhosen sind verwaschen und ausgeleiert, ihre Baumwoll-BHs grauweiß und mit viel gutem Willen bestenfalls unter dem Oberbegriff »sportlich« zu subsumieren. Hosen kauft sie jetzt gerne auch mal mit Gummizug obendrin. Und ihr aufreizendstes Oberteil ist eine pinkfarbene Bluse aus den frühen neunziger Jahren, bei der die obersten zwei Knöpfe fehlen.
Manchmal kam es ihr vor, als lebe sie auf Sparflamme. Alles plätscherte sang- und klanglos vor sich hin. Das pralle Leben fand offenbar anderswo statt. Vielleicht doch bei den Pärchen? Bestimmt nicht. Aber sie war sich da auf einmal nicht mehr ganz so sicher wie früher. Neuerdings ertappte sie sich sogar dabei, die öden Beziehungen ihrer Freundinnen nicht mehr ganz so abstoßend, verlogen und langweilig zu finden. Sogar an Eckhart, dem neuen Freund von Verena, über dessen Hundeblick und überkämmte Halbglatze sie neulich noch inbrünstig mit Heike gespottet hatte, entdeckte sie ein paar gute Seiten. Immerhin schien er harmlos und treu zu sein.
Nicht, dass sie so einen wie Eckhart selbst gewollt hätte. Aber die Single-Krise ging doch tiefer als anfangs angenommen. In der Fernsehzeitung hielt sie jetzt gezielt nach Liebesfilmen mit Happy End Ausschau. Früher hatte sie die stirnrunzelnd weggezappt. Im Park schielte sie heimlich zu den frisch verliebten Pärchen rüber. Ach, wie lange hatte sie nicht mehr hemmungslos rumgeknutscht. Abends kramte sie die Fotos von Alex raus. Mein Gott, was war sie in den verliebt gewesen. Und küssen konnte der. Seufz.
Was war bloß los mit ihr? Vielleicht lag es daran, dass in zwei Wochen Weihnachten und in drei Wochen schon wieder Silvester war. Der Gedanke an das Jahresende, wenn selbst die zerstrittensten Paare sich um Mitternacht unter dem hell erleuchteten Raketenhimmel glückstrunken in den Armen liegen, machte sie schon Monate im Voraus ganz krank. Wie ihr Silvester dagegen aussehen wird, war klar: Wie jedes Jahr wird sie dazwischen stehen und versuchen, cool und entspannt auszusehen. Und die Freundinnen werden ihr beim Umarmen wieder leise flüsternd die schönsten, tollsten, liebsten Männer wünschen fürs neue Jahr. Und die Freunde der Freundinnen werden sie kumpelhaft in den Arm nehmen, kurz drücken und die Aktion mit einem keuschen Bussi auf die Wange schnell wieder beenden. Und dann wird sie weiter rumstehen und angestrengt in den Himmel gucken, damit sie den anderen nicht bei ihren ekstatischen Liebesbekundungen zusehen muss.
Und nach einer Weile, wenn sich immer noch alle Paare aneinander kuscheln, wird sie dann von den zwei anderen Singles auf der Party angesprochen werden, dem hässlichen Dicken mit den schwitzigen Händen und der nichts sagenden kleinen Langweilerin mit ihren straßenköterblonden Spaghettihaaren: »Wir gehen wieder rein, kommst du mit?«
Und dann wird sie reingehen und sich schnell noch einen Sekt nehmen. Und noch einen und noch einen.
»Suche tolle Frau, die mit mir ins neue Jahr tanzt.« Das hatte Carsten geschrieben. Mit Carsten hatte es angefangen. Carsten war eigentlich nicht ihr Typ, seine Haare waren eine Spur zu kurz und zu zackig hochgegelt und unter dem Kragen seines Polohemdes meinte sie ein Kettchen gesehen zu haben. Ob es Gold war, konnte sie allerdings nicht erkennen. Aber Carsten schrieb so freundlich und authentisch von Silvesterfeiern, die doch zu zweit einfach mehr Spaß machen, und von Rühreiern und Milchkaffee und frischen Brötchen auf einem Frühstückstisch, den er so gerne mal wieder für eine Frau gedeckt hätte, dass sie vier Nächte lang wach lag und überlegte, ob und was sie Carsten schreiben sollte. Sie tat es dann doch nicht, woran nicht ihre Schüchternheit, sondern doch irgendwie das geballte Abschreckungspotenzial von Polohemd, Kette und Haarzacken schuld war.
Aber Carsten hatte sie angefixt. Von nun an wurde abends nicht mehr mit den Freundinnen telefoniert, sondern im Internet gesurft. Immerhin warteten Tausende von Tims und
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