Wir sind nur Menschen
herauf«, sagte sie und wandte sich dann ab. »Ich habe noch Appetit auf eine Tasse Tee. Sie auch?«
Sie stiegen die Treppen empor, ohne zu sprechen.
Sie betraten die Wohnung. Es roch noch immer – oder schon wieder – nach Karbol. Dazwischen mischte sich aber der Duft frischer Blumen.
Angela Bender schlüpfte aus dem Jackett und hielt es Peter hin. »Bitte, Ihr Smoking! Ich werde in der Küche den Tee bereiten. Machen Sie es sich schon im Zimmer bequem.« Und, als müsse sie sich entschuldigen, fügte sie hinzu: »Das Mädchen ist nur am Tage da. Bis acht Uhr abends.«
Peter zog sein Jackett wieder an und ging ins Wohnzimmer. Er schaltete die Deckenlampen aus und knipste eine Tischlampe an, dann suchte er im Radio einen Sender mit gemäßigter Tanzmusik. Er ließ sich in einen Sessel sinken, um in den wenigen Zeitungen zu blättern, die auf dem Tisch lagen.
Aus der Küche vernahm er das Summen des Samowars. Tassen und Teller klapperten, eine Schraubbüchse wurde geschlossen. Ob sie wirklich nur eine Tasse Tee mit mir trinken will? dachte er plötzlich. Sie hat Angst vor dem Sterben – vor meinem Sterben –, ist das nicht merkwürdig? Ich kenne sie kaum, sie kennt mich noch weniger, und doch sitze ich hier, als seien wir schon seit Jahren beste Freunde.
Es scheint wohl eines der Geheimnisse unseres Lebens zu sein, dachte Peter Perthes weiter, daß sich zwei Menschen, die sich nie gesehen hatten, gegenüberstehen und plötzlich beide wissen, daß ein weiteres Leben ohne den anderen unmöglich geworden ist. Ist es jener Funke, durch dessen Dasein Menschenfreunde die Seele beweisen wollen? Ist es schon Liebe, wenn in einem fremden Herzen ohne Willen und Erkennen jene geheimnisvolle Sehnsucht nach dem anderen brennt?
Unschlüssig mit sich selbst und verwundert über seine Gedanken, blätterte er in den Zeitungen und stieß auf einen mit Rotstift angestrichenen Artikel. Es war eine kurze, ziemlich volkstümlich geschriebene Abhandlung über Krankheitserreger, die er vor einigen Tagen veröffentlicht hatte. An den Rand der Zeitung war mit Rotstift ›Peter – Peter – Peter‹ geschrieben. Dreimal Peter – sonst nichts.
Er legte die Zeitung mit dem angestrichenen Artikel nach oben auf den Tisch und mußte sich bezwingen, nicht in die Küche zu laufen. Er hörte ihre Schritte, immer noch das gemütliche Summen des Samowars und endlich das leise Klirren eines Tabletts, das sie mit dem Teegeschirr, den Löffeln und dem Samowar belud.
Sie kam herein und setzte, kaum am Tisch, das Tablett mit einem Ruck hin. »Warum haben Sie das getan?« fragte sie.
»Was, liebe Kollegin?«
»Den Artikel nach oben gelegt. Wollen Sie mich beschämen?«
Er schüttelte den Kopf und zog sie an den Händen zu sich heran. »Ich wollte es Ihnen leichter machen … Ihnen und mir, Angela!«
Sie riß sich los und stellte die Teemaschine, das Geschirr, eine Schale mit Keksen, eine Zuckerdose und ein Sahnekännchen auf den Tisch. Dann drehte sie das Radio lauter und setzte sich an der anderen Tischseite in einen der tiefen Sessel. »Mögen Sie den Tee stark, oder kann ich jetzt schon eingießen?« fragte sie betont laut.
»Bitte, recht stark!« Er beugte sich vor und schob ein Etui über die Tischplatte. »Denken Sie bitte nichts Falsches, Angela«, begann er. »Ich bin keiner jener Männer, die mit solchen an einen Zeitungsrand geschriebenen Wahrheiten ein verfängliches Spiel aufführen. Ich kenne Sie besser, als Sie vielleicht mich! Ich habe oft im Schatten der Büsche gestanden, draußen, im Garten der Lindenburg, wenn Sie heimlich an meinen Laborfenstern vorbeigingen und versuchten, mich von dem Sandkasten aus bei meiner Arbeit zu beobachten. Ich habe nichts davon gesagt, ich habe Sie nicht schockiert … Ich habe mich gefreut, ehrlich gefreut auf den heutigen Abend, der einfach in unserer Beziehung zueinander kommen mußte!«
»Er wäre nie gekommen, wenn Ihnen Herr von Barthey nicht die fünfzigtausend Mark angeboten hätte, mit denen Sie in den Tod fahren. Und ich hätte Sie auch nie zum Tee eingeladen, wenn ich Sie nicht so gut kennen würde. Nun haben Sie diese Einladung angenommen …«
Angela saß steif in ihrem Sessel und rührte unentwegt in ihrer Teetasse herum, obgleich sie noch gar keinen Zucker genommen hatte. »Ich möchte Ihnen nur etwas sagen, Dr. Perthes, was Ihnen vielleicht noch niemand gesagt hat: Sie sind mir zu schade für das Abenteuer, das Sie planen!«
»Ich bin Ihnen zu schade?«
»Ja.«
Peter sah
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