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Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Band, von dem sie glaubte, es sei aus Gold und könne nie im Sturm des Lebens zerschleißen, war gerissen. Immer aber, trotz der aufbrausenden Enttäuschung, fand sie an den Abenden zurück zu ihren Büchern, die sie aus Lübeck mitgebracht hatte. Dann saß sie unter der kleinen Tischlampe und studierte Toxikologie, stellte Formelgleichungen an und entwickelte theoretisch nach einem Handbuch Antitoxika, die schon vorhanden waren. Regelrechte Übungen waren das, Studien bekannter Gifte, ein Vertiefen in die Rätsel der winzigen Kristalle, die einen Menschen in kürzester Zeit zu Boden werfen können.
    Schaudernd hatte sie oft die Wirkung der Gifte erlebt. Sie konnte es oft nicht verstehen, daß so etwas möglich war, sie rang um ihr Verstehen, wie klein der Mensch doch ist, wenn er durch mikroskopisch große Kristalle das Leben lassen muß. Und sie fand den Weg, den sie im Innern suchte, aber den der äußere Frauenstolz verdeckt hatte: Sie erkannte nun die Größe dieser Forschung und die Notwendigkeit, ihr Opfer zu bringen.
    Sie lebte gerade einen Monat lang in Hof, als sie die Gewißheit bekam, daß sie Peter Perthes nie verlieren konnte, daß ein Vergessen unmöglich wurde. Der alte Landarzt, der Angela gründlich und väterlich untersuchte, klopfte ihr danach begütigend auf die Schulter und sah sie über die Brillengläser an. Dann stellte er seine Diagnose.
    »Sie werden nicht die letzte sein, die vor einer solch schweren Prüfung steht«, sagte er leise. »Die Liebe kommt von Gott. Und der Kollege Dr. Perthes wird einmal stolz sein, wenn er nach Hause zurückkehrt und den Sinn seines Lebens vermehrt sieht.« Er schob die Brille hoch. »Nur, beste Frau Kollegin, Sie müssen es ihm schreiben …«
    Angela Bender schüttelte den Kopf. Jetzt gerade nicht, dachte sie und erschrak zugleich innerlich über diesen Trotz. Jetzt werde ich beweisen, daß die Liebe einer Frau größer, reiner und duldender ist als die eines Mannes. Ich werde mein Kind großziehen, ich werde aus ihm einen ganzen Menschen machen, ich ganz allein … Und ich werde ihm die Unrast seines Vaters nehmen, vom ersten Lallen an werde ich ihm den Haß auf die Fremde lehren. Es wird mein Kind sein.
    Sie schloß die Augen. Der alte Landarzt schien zu ahnen, was in der jungen Frau vorging, und schwieg. Er schrieb weiter auf seiner Karteikarte und vermied es, die Kollegin anzusehen oder gar anzusprechen.
    Als Dr. Bender aufstand und sich verabschiedete, drückte er ihr fest die Hand. »Wenn Sie Hilfe brauchen – ich bin immer für Sie da.« Und als er spürte, daß sie zögerte, meinte er noch: »Bei jedem Menschen kommt einmal die Stunde, wo er glaubt, er könne eine Last nicht mehr weiter ertragen. Dann ist die Stunde gekommen, wo er einen anderen Menschen braucht, der ihn zurück auf den rechten Weg führt, der ihn stützt und leitet.«
    Er sah ihr nach, wie sie über die Wiese, die vor seinem Haus lag, ging: federnd, leicht, schmal und ein wenig nach vorn gebeugt. Sie überquerte den Feldweg und wandte sich dem Wald zu, der gleich einer dunklen Wand die Felder begrenzte. Die Sonne sank.
    Ich werde nach Köln schreiben, dachte der alte Arzt und schüttelte den Kopf, als könne er die heutige Jugend nicht mehr verstehen. Dort wird man wissen, was man zu tun hat …
    Um die gleiche Zeit fuhr Dr. Peter Perthes in den Hafen von New York ein. Ein Sirenen- und Pfeifkonzert begrüßte die weiße ›Argentinia‹. Das schmutzige Hafenwasser schäumte fettig. Drüben, von Brooklyn und Manhattan, grüßten die Steinriesen herüber. Die Spitzen der Wolkenkratzer schienen in den blauen Himmel zu stoßen, es sah aus, als trügen sie das Himmelsgewölbe.
    Unter dem ausgestreckten Arm der Freiheitsstatue zog das weiße Schiff in den Hafen. Gewaltig reckte sich die steinerne Fackel der Sonne entgegen. Freiheit!
    Dr. Perthes stand an der Reling und sah den großen Piers entgegen. Eine neue Welt eröffnete sich ihm, Station eines anderen Lebens. Der Schatten der Freiheitsstatue fiel über sein Gesicht. Er lächelte glücklich.

VI
    Wenn man die Kordilleren bei Bogota hinter sich läßt und hinabsteigt in die Niederungen von Meta, die Savannen und Wälder zu beiden Seiten des mächtigen Rio Guaviare, wenn man den breiten Fluß hinunterfährt und die Höhenzüge des Mesa de Maripàn rechts vor sich liegen sieht, wird man nach Zapuare kommen, einem kleinen Ort aus Blockhütten und Palmenhäusern im Fiebergebiet von Piapoco. Hier leben seltsame Gestalten, finstere

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