Wir sind nur Menschen
Gespräch, in dessen Verlauf sich Dr. Cartogeno als noch verrückter erwies, denn er bat Peter Perthes, ihn begleiten zu dürfen.
»Ich möchte weiterkommen«, hatte Dr. Cartogeno gesagt. »Was ich hier vollbringe, ist eine rein mechanische Arbeit. Ich verbinde, ich schneide, ich setze Spritzen. Und alles auf Anordnung, denn wir Assistenten sind in der Klinik Nullen, und der Chef ist ein Halbgott. Hier kann man nichts lernen, weil jeder Angst hat, der eine könnte mehr wissen als der andere und ihm den Posten des Oberarztes wegschnappen, der jedes vierte Jahr neu besetzt wird.« Er holte ein langes Zigarillo aus seiner Tasche und steckte das schwarze Kraut in Brand. »Ich weiß, daß Ihre Expedition in die völlig unbekannten Gebiete ein Irrsinn ist. Ihr erster Schritt auf den weißen Flecken der Landkarte wird Ihr Todesurteil sein. Aber es reizt mich, einmal eine Tat zu tun, die nicht jeder unternehmen würde.« Er blickte Peter aus seinen fast schwarzen Augen an. »Wissen Sie, daß an den Quellseen des Rio Ameira der gefürchtetste Mann des ganzen Urwaldes sitzt?«
»Sapolàna?«
»Der König der Taràpas. Richtig! Man will sein Lager vor zwei Monaten zwischen dem Ameira und dem Rio Tomo gesehen haben. Heute ist es vielleicht ganz in unserer Nähe, am Cuno Mataveni.«
»Von mir aus kann der gute Häuptling im Nebenzimmer schlafen. Er stört mich nicht.«
»Aber Sie ihn! Das ist ein großer Unterschied. Wir haben von Bogota aus vier Expeditionen nach Amorua geschickt. Sie kamen nicht wieder aus den Wäldern heraus. Ein amerikanischer Suchtrupp in die völlig unbekannten Wälder des Rio Muco verscholl. Es gelang uns nicht, die weißen Flecken auf den Landkarten zu beseitigen. Nur Luftbilder geben uns einen gewissen Anhalt – über den Urwaldboden ist noch kein Schritt eines Weißen gegangen.«
»Dann werden wir die ersten sein.« Dr. Perthes blickte auf seine Armbanduhr. »Ich muß zurück. In vier Tagen breche ich auf. Wenn Sie sich anschließen wollen – was Sie zur Ausrüstung benötigen, wissen Sie ja –, dann seien Sie in vier Tagen in Càqueza. Ich bekomme dort meine Träger bis Zapuare.«
Damit ließ er Dr. Cartogeno stehen und verließ den Klinikgarten.
Am Morgen, als die Expedition von Càqueza aufbrach, stand Dr. Cartogeno am Ortsausgang neben seinem alten Ford. Die beiden Ärzte drückten sich wortlos die Hand, als würden sie sich schon seit Jahren kennen, dann reihte sich Dr. Cartogeno in seinem Wagen in die Kolonne ein. Sie klapperten über die ausgefahrene, staubige Höhenstraße, die sich von Bogota ziemlich steil durch die Kordilleren windet, um dann zu der Kreisstadt Villavicencio hin abzufallen und sich in den Weiten der Llanos de San Martin zu verlieren.
Man hielt in Villavicencio zwei Tage, um einen Dolmetscher zu suchen, der die Dialekte der Eingeborenenstämme beherrschte. Es meldete sich ein begabter Indianer, der auf einer Missionsstation in Barabaca erzogen worden war, fast alle Idiome der Urwaldvölker im weiten Umkreis kannte und verstand.
Von der Kreisstadt aus wurde der Weg beschwerlicher. Bald wurden die Lastwagen entladen, und auf leichteren Karren fuhr die Expedition nach Pto. España. Dort kauften sie ein ganzes Geschwader von Baum- und Rindenbooten und fuhren den Rio Ariari hinab – hinein in den mächtigen Rio Guaviare. Nach fünftägiger Bootsfahrt legten die 49 Kähne in Zapuare an. Sie hatten insgesamt 105 Flußwindungen und -schleifen durchfahren.
Am Ufer standen die Einwohner, johlten und schwenkten bunte Tücher. Jedoch sie wurden enttäuscht. Nicht neue Abenteurer und Saufkumpane stiegen an Land, sondern zwei Männer in weißen Tropenanzügen und eine Kompanie von Trägern, Halbindianern, Mischlingen, Kreolen, Mulatten – ein Wirrwarr von Rassen.
Es begann umgehend ein großes Ausladen, die Boote wurden am Ufer vertäut, ein abseits liegendes Haus in ein Behelfslabor verwandelt. Als erstes ließ Dr. Cartogeno, der seine Umgebung kannte, in den ›Bars‹ verkünden: »Wer sich dem Haus nähert, die Boote anfaßt und sonst etwas stiehlt, wird ohne Warnung erschossen!«
Die Eingeborenen krochen zusammen, mieden das Haus am Waldrand und sahen den beiden Ärzten scheel nach, wenn sie in ihren weißen Anzügen, sauber und gepflegt inmitten des Schmutzes ringsum, auf leichten Kanus den Rio Uva oder den Rio Maneciare hinaufruderten, um das Gelände an den Ufern zu erkunden.
Das ganze Gebiet schwirrte von den sagenhaften Taten des Taràpashäuptling Sapolàna. Man
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