Wir sind nur Menschen
Bakterien in kürzester Zeit vermehren konnte, und eine Destillationsanlage zu erfinden, die es ihm ermöglichte, Gifte in Sekundenschnelle in bestimmte Substanzen zu zerlegen. So war alles auf das beste und bis ins kleinste geordnet, als der Tag der Abreise immer näher rückte.
Angela Bender kam nach zehn Tagen schon aus Grömitz zurück. Es hielt sie nicht mehr unter lauter fröhlichen, unbeschwerten Menschen. Jeden Abend, wenn sie den Kalender betrachtete und die Wochen zählte bis zu jenem roten Strich, der den Tag der Abreise Peters bezeichnete, stürzten ihr die Tränen aus den Augen, und sie weinte, bis sie vor Erschöpfung einschlief. Morgens lag sie dann wieder am Strand, baute sich eine kleine Sandburg, schwamm in die See hinaus und spielte Augenblicke lang mit dem wahnwitzigen Gedanken, sich einfach absinken zu lassen, unterzugehen in den schäumenden Wellen, und damit alles zu vergessen, was das Leben so schwer machte …
Aber dann riß sie sich empor, ließ sich mit der Brandung ans flache Ufer tragen und lag wieder in der Sonne, braun, schmal und schön – eine Frau, die das Leben liebte, weil sie trotz allem noch einen Funken Hoffnung hatte, daß einmal alles gut werden könnte …
Aber irgendeine Empfindung, ein Gedanke in ihr verstand, was ihre Liebe nicht begreifen wollte oder konnte. Sie fuhr nach Lübeck und kaufte sich alle Bücher über Toxikologie, deren sie habhaft werden konnte, sie schrieb an das Tropeninstitut und ließ sich eine Literaturaufstellung schicken, nach der sie bei Fachverlagen die Werke bestellte. Plötzlich war ein unbändiges Interesse in ihr erwacht, in diese geheimnisvolle Welt der Gifte einzudringen, der sich Peter verschrieben hatte und für die er sein persönliches Glück zu opfern bereit war.
So las sie in den warmen Grömitzer Nächten viel über die Zauberwelt der Kristalle und Alkaloide, der chemischen Gifte und der Toxika der Natur. Sie studierte mit heißen Wangen die Berichte der Forscher aus allen Gegenden der Welt, wo das Gift im Kampf gegen den Feind noch eine Rolle spielte … aus Südamerika, aus Borneo, aus Sumatra, aus dem Kongobecken, aus Birma und Thailand. Und Angela Bender empfand zum erstenmal, welch ein großes Vorhaben Peter hinaus in die Welt und fort von ihrer Liebe trieb.
Mit diesen Gedanken und Empfindungen fuhr sie nach Köln zurück, ein wenig nach innen gekehrt, ein wenig reuevoll. Nur der Haß gegenüber dem Schicksal überlagerte ihre einsichtigen Gedanken, der Haß, der ihr kurzes Glück zerstören wollte.
Niemand wußte von ihrer Rückkehr. Sie verbarg sich in ihrer Wohnung, ging nur des Abends kurz aus und öffnete ihre Praxis erst nach vierzehn Tagen. In den vier einsamen Nächten in der stillen Wohnung – auch das Mädchen hatte Urlaub bekommen – überfiel sie das Bewußtsein der Verlassenheit mit doppelter Deutlichkeit.
Sie fühlte, daß sie etwas Grundlegendes falsch gemacht hatte, als sie Peter aus der Wohnung wies, daß sie anders hätte handeln müssen, um ihn zu halten. Sie versuchte an den langen einsamen Abenden selbstquälerisch, allein unter der Tischlampe sitzend, lesend oder in eine dunkle Ecke starrend, Verständnis für Peters Lage zu gewinnen.
Er ist ein Mann, der eine große Tat vor sich hat, sagte sie sich. Er hat ein Ziel, das größer ist als ich, der kleine Mensch an seiner Seite. Er gehört allen – und ich wollte ihn für mich allein haben. Ich war eine Egoistin … aber welche liebende Frau wäre das nicht? Ich hätte zu ihm sagen sollen: Ja, Peter, es ist gut, daß du fährst. Du willst hinaus in die Gefahr, gut, ich gehöre zu dir, also nimm mich mit! Ich will mit in den Urwald, oder ich will in Bogota auf dich warten, aber ich will dabeisein, bei dir sein, in der Nähe sein, wenn du mich brauchen solltest …
Sie stand auf und wanderte erregt im Zimmer auf und ab. Das wäre ein Weg, grübelte sie. Ich müßte mit ihm fahren – und wenn er nicht will, heimlich!
Sie warf die Locken aus der Stirn und ging zum Telefon. Herr von Barthey war nicht wenig erstaunt, als Angela Bender ihn anrief. Ihr Verlangen aber brachte ihn völlig aus seiner Ruhe.
»Unmöglich«, sagte er dann fest. »Ganz abgesehen davon, daß das Wahnsinn wäre, Sie in diese Fieberhölle zu schicken. Es geht auch technisch nicht. Sie brauchen einen Paß, Sie brauchen Visa, was mindestens vier bis sechs Wochen dauert! Dann eine Tropentauglichkeitsuntersuchung, Impfungen, Ausreiseerlaubnisse, Einreiseerlaubnisse,
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