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Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit den drei Widerhaken aus Tierknochen. »Ihr zweiter Erfolg, Herr Kollege! Allerdings teuer erkauft …«
    Sie glitten in schneller Fahrt den Fluß hinab, vorbei an Orchideengärten und Bäumen mit den sonderbarsten Blüten. Auf einem flachen Uferstreifen lag ein ganzes Rudel Alligatoren in der Sonne und schlief. Etwas weiter unterhalb brach flüchtend ein Tapir in den Urwald zurück, als er die Boote kommen sah. Er hatte vorher am Ufer gestanden und mit äußerster Vorsicht blitzschnell getrunken. Die kleinen Mörderfische bissen sich leicht in seiner Schnauze fest …
    Schweigsam saßen die Männer in den Kanus. Dr. Perthes schoß hin und wieder auf gepanzerte Rücken, Dr. Cartogeno beobachtete das Ufer und begann, trotz der Unruhe im Boot, des Schaukelns und Hüpfens, seelenruhig, wie in der Anatomie einer Universität, den toten Träger zu sezieren. Er schnitt kunstgerecht Gewebestücke aus den vergifteten Stellen, entnahm Teile des geronnenen Blutes und war mit seiner Arbeit gerade fertig, als die Urwaldsiedlung San Juan im großen Bogen des Rio Guaviare zwischen der Baumwand auftauchte. Hier hielten die Boote an, und die Träger begruben ihren toten Kameraden am Rande des Urwalds.
    Am Abend noch, beim Schein von drei Petroleumlampen und einer starken Akkubirne, saß Peter Perthes hinter dem Mikroskop und beobachtete die Wirkung des Pfeilgiftes bei Zusätzen bestimmter Säuren.
    »Es ist eine Art Urari«, sagte er, nachdem er bis tief in die Nacht seine Versuchsreihen probiert hatte, zu Dr. Cartogeno. »Aber seine Wirkung ist anders! Der Tod tritt nicht durch Lähmung, sondern durch plötzliche, unheimliche Blutstrukturveränderung ein. Es ist das gleiche Gift wie bei dem Tapir, das wir in Zapuare fanden.« Er stand von seinem Stuhl auf und reckte sich, die Arme weit ausbreitend. »Kollege Cartogeno, unsere Aufgabe beginnt interessant zu werden …«
    In diesem Augenblick stürzte aufgeregt der Dolmetscher ins Zelt. Sein Gesicht war mit kaltem Schweiß bedeckt.
    »Hören Sie es?« schrie er. »Hören Sie es nicht? Baumtrommeln …«
    Auch die beiden Ärzte hörten jetzt weit entfernt einen dunklen, rhythmischen Trommelton, der anschwoll und wieder abklang. Er wirkte unheimlich in der stillen Nacht. Der Dolmetscher bekreuzigte sich.
    »Sapolàna gibt uns Nachricht«, stammelte er. »Seine Trommeln sagen: Kehrt um! Oder ihr kommt nie zurück!«
    Dr. Cartogeno sah Dr. Perthes groß an und nickte. »Wirklich interessant«, sagte er in seinem sarkastischen Tonfall. »Wir werden über Mangel an Gift nicht zu klagen haben.«

VII
    Angela Bender war, nachdem sie Gewißheit über ihr ferneres Schicksal erlangt hatte, von Hof weggezogen und hatte eine verwaiste Praxis in Augsburg übernommen. Ein Onkel, der Medizinalrat war, hatte ihr diese Praxis und die Zulassung zu allen Kassen besorgt, und Dr. Bender übte ihren Beruf so lange aus, bis man ihren Zustand bemerkte und sich das Kommende nicht länger verbergen ließ.
    Wenn jede andere junge Frau mit dem Schicksal gehadert hätte, sie biß die Zähne zusammen und nahm sich vor, nie über die Schwere ihres Lebens zu klagen. So verpachtete sie die Augsburger Praxis und verkroch sich in den bayerischen Bergen. Dort, in Schöllang bei Oberstdorf, im Anblick des Nebelhorns, lebte sie auf einer Alp und erwartete ihre große Stunde.
    Aber sie war auch hier nicht untätig und legte die Hände nicht in den gesegneten Schoß, nein, sie arbeitete weiter am Studium der Toxikologie. Wozu es gut war, das wußte sie selbst noch nicht. Was es für einen Sinn hatte, sich in monatelangen nächtlichen Versuchen und Berechnungen, im Studieren und Auswendiglernen, mit einer der schwersten Wissenschaften auseinanderzusetzen, darüber dachte sie nicht nach. Peter ist in Südamerika, dachte sie nur. Er hat diese Wissenschaft zum Mittelpunkt seines Lebens gemacht. Und ich trage ein Kind von ihm, ich bin seine Frau geworden. Muß ich nicht wissen, was Peters großer Antrieb ist?
    Es war keine Neugier in diesem Studium – oder doch? War es ein Aufgehen in einer fremden Welt, aus der sie sich durch ihren Zorn auf den Zerstörer ihrer Hoffnungen selbst ausgeschlossen hatte? War es doch eine Buße? Sie wußte es nicht. Sie verschloß sich auch vor den Gedanken, die einen Sinn in dem Ganzen suchten.
    So saß sie die langen Nächte hindurch, las über Curare und Urari, über Alkaloide und Strychnos toxifera. In die Materie der Pfeilgifte versenkte sie sich vor allem und verbrachte lange Wochen mit

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