Wir sind nur Menschen
durch ein Spalier von waffenlosen, aber grellbemalten Kriegern zu einem Ufer, von dem aus ein tiefer Einschnitt in den Urwald führte. Am Eingang dieser Schneise standen vier riesige Krieger, mit Tukanfedern und Ketten aus Menschenhaar fast völlig bedeckt. Sie hoben grüßend die Speere, als das Kanu mit den beiden Ärzten in die Urwaldschlucht hineinglitt. Ein ausgehauener Strand öffnete sich vor ihnen. Auf ihm sah man spitze Baumrindenhütten und ein größeres Haus aus geflochtenen Palmfasern und Blättern. Ein großer Taràpas, bunte Fetische in den Händen und ein raschelndes Röckchen aus trockenen Blättern um die Hüfte, sprang vor dem Haus in wilden, ekstatischen Bewegungen hin und her und stieß schrille, unmenschliche Laute aus.
Als er das Boot mit den beiden Weißen erblickte, rannte er in das Haus, dumpf klang sein Geheul durch die Wände. Dr. Perthes und Dr. Cartogeno stiegen an Land. Ihre Hände ruhten auf ihren Pistolen. Allein standen sie vor den Hütten, die Ruderer waren in den Booten geblieben. Die Rindenhütten schienen verlassen zu sein, nur das Geheul des Medizinmannes klang schaurig durch die Stille. Mit großen Schritten gingen die beiden Ärzte auf das Palmhaus zu.
IX
In Villavicencio fand nach der Suchaktion eine Besichtigung durch Regierungsvertreter aus Bogota statt. Ein von Herrn von Barthey ernannter Vertreter der Außenhandelsbank aus Bogota fertigte ein Verzeichnis an. Es befanden sich darunter ein ganz neues Laboratorium, Brutschränke, Mikroskope, Nährböden und Giftkulturen jener angefangenen Forschungsreihen von Dr. Perthes. Die Tagebuchblätter, die in San Juan gefunden wurden, gaben Aufschluß über die Fahrt den Rio Guaviare hinab und über die Pläne, die die Expedition verfolgte. Das spurlose Verschwinden der Männer auf dem Wege zum Cuno Nacuri sprach deutlich dafür, daß es die Taràpas nicht duldeten, Weiße in ihre Wälder eindringen zu lassen. Die Regierung war machtlos, eine Strafexpedition schien völlig sinnlos. Es wurde lediglich ein Gesetz erlassen, das allen Fremden verbot, die Urwälder ohne ausreichenden Schutz zu betreten. Dazu gehörten eine gute Bewaffnung mit Maschinengewehren und Boote mit Motoren.
In Köln zog Bankier von Barthey einen dicken Strich unter das Konto ›Forschung Dr. Perthes‹. Professor Window und Dr. Sacher aber konnten den Gedanken nicht loswerden, daß Peter noch lebte und sich irgendwo in der grünen Hölle aufhielt, vielleicht auf der Spur nach etwas Unerforschtem, was eine Sensation zu werden versprach. Daß auch Dr. Cartogeno, der Dolmetscher und die Träger nicht wieder aufgetaucht waren, bestärkte nur den Verdacht, daß sich in den riesigen Urwäldern Amazoniens etwas Ungewöhnliches abgespielt haben mußte. Dafür sprachen auch die Briefe, die Dr. Perthes von Zapuare und San Juan aus an Dr. Sacher schrieb, in denen er mitteilte, daß er versuchen wolle, den Taràpas-Häuptling für sich zu gewinnen, um ungehindert in den Fiebergebieten arbeiten zu können. Wenn Peter das gelungen war, dann war er jetzt noch im Urwald und sammelte Material für seine großen Forschungen.
In Kolumbien hielt man das für unmöglich. Man kannte dort Sapolàna. Man hatte zuviel von seinen Grausamkeiten gehört, seinen Kopfjägern, von seinen Gürteln voller Schrumpfköpfe. Man hielt die Vermutungen der Deutschen aus Köln, die ja keine Ahnung von der Wirklichkeit der Urwälder hatten, für völlig abwegig und behauptete, die Suchflugzeuge, die Motorboote und die Raupenwagen müßten etwas gehört oder gesehen haben, wenn es Überlebende der Expedition geben würde. Man müsse deshalb, so leid es der kolumbianischen Regierung tue, damit rechnen, daß die Expedition Dr. Perthes verloren sei.
Um dem deutschen Bankier und den Ärzten einen Gefallen zu tun, entschloß man sich, die sichergestellten Güter an Ort und Stelle zu belassen. Sollte Dr. Perthes doch noch zurückkommen – was nach Ansicht von Experten die größte Sensation seit Bestehen der Amazonas-Urwälder sein würde –, so könnte er sein Laboratorium sofort wieder in Betrieb nehmen. Dann ging das Leben weiter, wie es bisher gewesen war. In Zapuare und Pajarito, San Juan und Sitio lungerten die Orchideenjäger herum, standen in den Bars finstere Gestalten und tranken Whisky zu sündhaft teuren Preisen, liefen den wenigen schmutzigen Küchenweibern nach und stießen sich ihretwegen den blanken Stahl zwischen die Rippen.
In Bogota war immer noch die ›Untersuchungskommission‹
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