Wir sind nur Menschen
setzte sich auf eine Kiste und brannte sich eine Zigarette an. Merkwürdigerweise hatte sich seine Angst vor einem Überfall völlig verloren. Er saß, eine lebendige Zielscheibe, mitten im Boot. Dr. Cartogeno stand mißmutig hinter ihm und hatte sein Gewehr wieder in der Hand. Er traute dem Frieden nicht. Die Köpfe der Träger lugten über den Bootsrändern hervor, aber die Eingeborenen wagten es immer noch nicht, sich aufzurichten. Wieder verging eine Stunde. Die Sonne brannte unbarmherzig.
»Wir backen hier zu Brezeln, ehe Ihr Sapolàna kommt«, brummte Dr. Cartogeno. »An alles haben wir bei der Ausrüstung gedacht, nur nicht an einen Außenbordmotor. Solch ein knatterndes Ding am Heck und heidi – wären wir den Indios auf und davon!« Er brannte sich das fünfte Zigarillo an diesem Tag an. »Ich möchte wissen, was dieser Häuptling will, außer uns den Hals abschneiden? Glauben Sie, er lädt uns zu einer Partie Schach ein?«
»Ihren Sarkasmus können Sie endlich für sich behalten«, meinte Dr. Perthes. Er war dabei, den Giftpfeil, der noch in der Bootswand stak, mit einer Zange aus dem Holz zu lösen und in einen sterilen, länglichen Aluminiumkasten zu legen. Vorher betrachtete er die Knochenspitze durch ein Vergrößerungsglas und schüttelte den Kopf. »Man sieht nichts«, sagte er dann enttäuscht. »Ich habe geglaubt, daß das Gift eine Färbung besitzt, aber es ist farblos und dem bloßen Auge unsichtbar.« Vorsichtig faßte er den Pfeil mit einem Lappen an und beugte sich über den Bootsrand zum Wasser hinab. Ein träger, dicker Fisch, der neugierig um die Boote schwamm, sah ihn mit glotzenden Augen an. Blitzschnell stach Perthes mit dem Pfeil ins Wasser und ritzte dem flüchtenden Fisch die Haut mit der Pfeilspitze. Mit größtem Staunen beobachtete nun Dr. Perthes, wie der Fisch sich aufbäumte und in wenigen Sekunden mit der Bauchseite nach oben leblos aus dem Wasser ragte.
»Tot«, meinte Dr. Cartogeno sachlich. »Das Gift muß wirklich außerordentlich gefährlich sein.«
»Ich nehme an, daß man mit einem halben Pfund dieses Giftes in der Lage ist, zehn Millionen Menschen umzubringen.« Dr. Perthes sah mit leisem Grauen in seinen Augen auf die Knochenspitze des Pfeils. »So primitiv diese Menschen sind – im Töten stehen anscheinend alle Menschen auf einer hohen Stufe.«
Der Klang der Baumtrommel ließ sie wieder zusammenschrecken. Dieses Mal war es nicht eine, dieses Mal waren es viele. Die Indios schienen am Ufer des Flusses hinauf und hinunter zu stehen, denn von allen Seiten klang jetzt der dumpfe, unheilvolle Ton auf. In den Zweigen der Bäume am Flußufer raschelte es. Vögel, vor allem Kolibris, flatterten aufgeregt über den Strom. Dr. Cartogeno fluchte.
Nun schoß unter den hängenden Zweigen abermals ein Kanu hervor. Dieses Mal stand ein anderer Krieger darin. Sein Gesicht war mit hellen Farbtönen ringförmig bemalt, in den Ohrläppchen, die durchstoßen waren, trug er als Schmuck weiße Stäbchen; Troddeln aus Baumwolle und bunte Tukanfedern zierten die große, schlanke Gestalt. Noch schreckhafter wurde sein Anblick durch rote Punkte, die er sich auf die Brust gemalt hatte. Mit starken Armen ruderte der Krieger das Boot über den Strom und legte zum Beweis seiner Friedfertigkeit ein großes, fast drei Meter langes Bambusrohr vor sich in das Kanu. Peter Perthes erkannte mit Staunen, daß dieses Blasrohr ein kunstvolles Mundstück aus dem Röhrenknochen des Weißbart-Pekari besaß und ein Visier aus gehärtetem Harz.
Der Dolmetscher sprach den Krieger an, der wartend vor den drei Booten der Ärzte hielt. Die Kehlkopflaute schwirrten von neuem hin und her. Der Dolmetscher nickte.
»Herr«, sagte er zu Peter, »dort steht Umari, der zweite Häuptling der Taràpas. Er sendet dir einen Gruß von Sapolàra, dem großen Zauberer. Er bittet dich, zum Lager der Taràpas mitzukommen. Der große Häuptling Sapolàna ist sehr krank.«
»Fauler Zauber!« rief Dr. Cartogeno. »Sagen Sie dem Indio, ihr sauberer Häuptling kann verrecken!«
Umari verstand nicht die Worte, aber er achtete auf den Tonfall und sah Peter Perthes mit großen schwarzen Augen an, in denen eine Frage stand. Seine straff geschnittenen Haare waren durch ein geflochtenes Band und eine Muschelkette verziert. Plötzlich bückte er sich und reichte mit beiden Händen einige flache Holzschüsseln in das Boot der Ärzte hinüber. In den Schüsseln lagen ein gerupftes Huhn, ein unbekannter schillernder Fisch, Mais,
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