Wir sind nur Menschen
mehr oder weniger nicht an. Sie mögen es Härte nennen, Paul, aber war es nicht noch viel härter von Peter, meine Bitte, meine Sorge um sein Leben, meine Angst, ihn zu verlieren, mit einem Lachen abzutun und heimlich diese Expedition vorzubereiten?
Da gab es dann nur noch einen kleinen chirurgischen Schnitt, der mitten durch meine Seele ging: Trennung! Ich habe damals, als ich am Strand von Grömitz stand und viel weinte, nicht mehr gewußt, was ich tun sollte. Und er, dem diese Tränen galten, saß in Köln und vollendete die Vorbereitungen zur Fahrt in die Hölle. Als ich dann zurückkam, wußte ich, daß es keine Umkehr gab – nicht für ihn, nicht für mich. Meinen Sie nicht auch, daß das genügt, um eine Frau hart zu machen?«
In diesem Augenblick war Dr. Sacher versucht, ihr die volle Wahrheit über Peter zu sagen. Aber dann dachte er an ihren Zustand und biß sich auf die Lippen. Nein, sagte er sich, ich darf es trotzdem nicht. Es wäre kein Gewinn, sie wüßte auch keinen Rat. So lenkte er das Gespräch in eine andere Richtung und unternahm nach dem Kaffee mit Angela einen Spaziergang über die Berge, er bewunderte das Nebelhorn, das wie eine mit Zucker übergossene Spitze in den fahlblauen Himmel ragte. Sie lachten viel und bewarfen sich schließlich mit Schneebällen.
Keuchend lehnte sich Angela an eine Krüppelkiefer. »Ich kann nicht mehr«, rief sie lachend, »man wird doch sehr ungelenkig …« Sie preßte die Hand auf ihren Leib und atmete schwer. »In einem Jahr geht alles wieder besser!«
Dr. Sacher wohnte in Schöllang in einem hübschen Hotel, wo er sich für zwölf Tage eingemietet hatte. Er nutzte die Zeit für Spaziergänge mit Angela, um mit dem Schlitten nach Oberstdorf oder sogar bis zum Alpsee zu fahren und ihr Fröhlichkeit zu schenken, die sie in ihrer Abgeschiedenheit vermißt haben mußte.
Es waren auch für Angela Bender schöne Tage. Paul Sacher las ihr jeden Wunsch von den Augen ab, jede Last zog er zu sich hinüber, ohne daß sie es merkte. Da die verpachtete Praxis nicht den erwarteten Gewinn abwarf und Erspartes schnell zur Neige ging, bezahlte Dr. Sacher ohne Angelas Wissen die Miete und die Verpflegung in der Alppension für ein halbes Jahr im voraus, kaufte in Kempten einen Kinderwagen und erstand im Auftrag von Professor Window ein schönes, größeres Kinderbett. Er gab genaue Termine an, wann alles an Frau Dr. Bender nach Schöllang geschickt werden sollte, und fuhr nach zwölf Tagen befriedigt nach Köln zurück.
Und Angela war wieder allein inmitten der Berge und Schneefelder, las oder schrieb an einem Buch über Kinderkrankheiten, zählte die Wochen und Tage bis zu dem Tag, an dem sie eine neue und schwere Pflicht vom Schicksal übernehmen würde.
Eine Woche nach der Abreise Dr. Sachers bekam sie einen Brief aus Kolumbien, von Köln aus umadressiert. Sie wollte ihn schon in den Ofen stecken, als sie plötzlich stutzte. In der Aufregung, von neuem Post aus Südamerika zu bekommen, hatte sie nicht beachtet, daß die Adresse mit Maschinenschrift geschrieben war. Das war sonst nicht Peters Art bei Privatbriefen. Jetzt fiel ihr das auf. Sie drehte den Umschlag um und las: »Puesta de policía, Villavicencio, Columbia, Meta.«
Polizeistation? dachte Angela erschrocken. Der Brief ist gar nicht von Peter. Sie eilte an den Tisch zurück, unter das breite Fenster, setzte sich ans Licht und riß den Umschlag auf. Eine Fotopostkarte fiel auf den Tisch, eine Fotografie, die sie selbst in einem duftigen Sommerkleid zeigte, aufgenommen auf der Kölner Messe, mit Rhein und Domtürmen im Hintergrund. Dabei lag ein Brief, aus dem hervorging, daß man dieses Foto neben anderen Dingen in Zapuare gefunden habe. Da die Adresse auf dem Foto stünde, gehe es an den Besitzer zurück. Ihr Foto! In Zapuare gefunden? Zurück! Was bedeutete das alles? In Angelas Kopf schwirrten die Gedanken. Hatte Peter diese Fotografie nur verloren? Hatte er sie weggeworfen, weil sie ihm nicht schrieb? Oder war ihm etwas zugestoßen?
Eine schreckliche Unruhe packte sie. Sie ließ den Schlitten anspannen und fuhr hinunter zur Poststation. Dort meldete sie ein Ferngespräch mit Köln an und hatte nach zwei Stunden Warten endlich Professor Window am Apparat. Ihre Stimme war von Angst undeutlich geworden.
»Ich habe eben einen Brief bekommen«, sagte sie, »aus Villavicencio, von der Polizeistation. Meine Fotografie war in dem Brief, ein Bild, das Peter mitgenommen hatte. Man habe es gefunden, schreibt die
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