Wir sind nur Menschen
die Flasche auf einen Nebentisch. Dann setzte er sich in einen alten Korbsessel und blickte Dr. Sacher an, als wollte er sagen: Nun fang schon an, sag, was du auf dem Herzen hast. Ick warte druff!
Paul Sacher zog eine Zigarettenschachtel aus der Tasche, bot Benischek an und steckte seine Zigarette umständlich in Brand. Dabei meinte er wie nebensächlich:
»Sie kennen Fräulein Dr. Bender gut?«
»Se hat während ihres Studiums oft bei mir jearbeitet.« Wenn er von den Laboratorien sprach, sagte er immer ›bei mir‹. Es waren eben seine Räume – er war der Herr über Retorten und Kolben.
»Und in der letzten Zeit?«
Benischek horchte auf. Aha! dachte er. Dahinaus geht's also! Was sagte doch Angela immer: Keinem etwas sagen, was auch kommen mag! Und er hatte es ihr in die Hand versprochen. Das war ein Schwur gewesen … »In der letzten Zeit?« fragte er gedehnt und stellte sich dumm, was gut zu ihm paßte. »Ab und zu.«
»Abends?«
Benischek witterte die Gefahr, in die er gedrängt wurde, und begann mit dem Mut der Verzweiflung und eingedenk seines Versprechens tapfer zu lügen: »Nee!« Er lachte breit. »Ick bin woll nich der Typ fürs Frollein Doktor!«
Paul Sacher lachte pflichtschuldigst mit, auch wenn er die Bemerkung als ziemlich taktlos ansah. Im sozusagen höheren Interesse schwieg er und setzte seine Unterhaltung höflich fort:
»Es liegt mir sehr viel daran, lieber Herr Benischek, zu erfahren, wo Angela die letzte Zeit war. Verstehen Sie – es ist keine Neugier, auch kein Herumspionieren … Es geht hier nur allein um die Gesundheit Dr. Benders. Sie wissen doch wohl, daß sie sehr krank ist?«
Fritz Benischek riß beide Augen auf. Diese Mitteilung warf ihn aus dem Gleichgewicht. Angela Bender krank? Sogar sehr krank? Er sprang auf und ging zum Nebentisch, um die Flasche Cognac zu holen. Während er die Gläser füllte, zitterten seine Hände. Dann prostete er Dr. Sacher zu und trank das Glas in einem Zug leer. Mit der Zunge wischte er sich danach über die Lippen.
»Ja, sie hat ein schweres Nervenfieber – ich dachte, das sei Ihnen bekannt? Sie war nächtelang außer Haus, sie muß sich dabei irgendwo und irgendwie die Nerven zerrüttet haben. Überarbeitung oder sonst etwas … Wir wissen es nicht! Wir dachten nun, Sie hätten sie vielleicht des Abends gesehen oder könnten uns einen Fingerzeig geben.«
Benischek goß sich sein Glas wieder voll. Schweigen – was auch kommen mag –, das hatte er versprochen. Aber jetzt lag sie krank in der Klinik. Eigentlich war es ja verständlich, eine solche Belastung konnte kein Körper ertragen, am wenigsten der einer zarten jungen Frau. Er hatte ja selbst dieses Wunder bestaunt, er hatte schlappgemacht, er war eingeschlafen, hatte sich mit Kaffee mühsam auf den Beinen gehalten. Er verspürte jetzt noch einen Druck im Kopf, wenn er nur daran dachte. Und sie hatte immer am Tisch gesessen, hatte in das Mikroskop gestarrt, gemischt, gekocht, destilliert, probiert, abgekühlt, geimpft, wieder probiert … ohne Aufhören, ohne Pause. Es war doch wirklich ein Wunder …
»Ick kann Ihnen nischt sagen«, meinte Benischek zweideutig und gewann mit dieser Antwort sein inneres Gleichgewicht wieder.
»Sie wissen auch nicht, wo Fräulein Dr. Bender gewesen sein könnte?«
»Nee, Herr Doktor. Ick bin doch keen Kindermädchen.«
»Also, schönsten Dank!« Dr. Sacher erhob sich. Er war enttäuscht, zum zweitenmal an diesem Tag. Er gab Benischek die Hand und ging zur Klinik zurück, ein wenig bedrückt von der Unmöglichkeit, Angelas Geheimnis zu erhellen.
Fritz Benischek blickte ihm lange nach. Er hätte so viel sagen können … er hätte alles aufklären können! Aber er durfte es nicht. Schnell schloß er die Tür ab und schwor sich, in den nächsten Stunden taub gegen alles Türklingeln zu sein. Wenn dieser Arzt zurückkäme – er würde ihn nicht hören!
Denn Dr. Sacher hatte die Flasche stehen lassen.
Wie ein Magnet zogen die drei Sterne Fritz Benischek an. Der Cognac war ein Genuß, wie er ihn seit Jahren nicht in der Kehle brennen gespürt hatte …
In der Klinik stand Dr. Sacher den Professoren Purr und Heines gegenüber. »Nichts«, sagte er. »Ich fand keine Anhaltspunkte. Es gibt überhaupt kein Schlüsselloch, durch das ein winziger Lichtstrahl in das Dunkel um Angela Bender fallen könnte. Es ist zum Verzweifeln! Wenn sie selbst nicht sprechen will – wir erfahren nie den Grund dieses Zusammenbruchs!«
Dr. Paul Sacher blieb vier Tage in
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