Wir sind nur Menschen
und warf sie weit hinaus in den Fluß. Sie trieben den Strom hinab, wurden von den Taràpas aufgefischt und zitterten, noch naß und triefend, wieder an den Baumstämmen, wenn das Boot in kleinen Buchten anlegte.
Dem Bankier wurde das unheimlich. Er weigerte sich am Schluß, überhaupt noch an Land zu gehen, und atmete erst auf, als sie wieder in Zapuare anlegten, unterhalb des Hauses, wo die Indios einige Bootsstege in den Fluß gezimmert hatten. Peter kniff die Augen zusammen; auch Dr. Cartogeno war wütend.
In dem Holz des Stegs stak ein langer, mit geheimnisvollen Runen verzierter Speer. Unter seiner langen, vergifteten Knochenspitze hing an einem Faden aus Menschenhaar ein kleiner weißer Schrumpfkopf.
Wolf von Barthey verfärbte sich. Sein Gesicht wurde grün. Er wandte sich ab und verspürte den Drang, zu erbrechen. Mit abgewandtem Gesicht stieg er aus dem Boot und rannte, an dem Speer vorbei, durch den Garten ins Haus. Dr. Cartogeno riß den Speer aus dem Bootssteg und schleuderte ihn mitsamt dem Schrumpfkopf weit in den Fluß hinaus.
»Das bedeutet bereits Kampf«, sagte er leise zu Peter, der in das strömende Wasser schaute. »Sapolànas letzte, eindringliche Warnung! Du wirst hierbleiben müssen.«
»Ich lasse mich von einem Wilden nicht zwingen!«
»Er ist stärker als du. Er hat alle Vorteile auf seiner Seite. Die Wälder, die Flüsse, das Gift, zweitausend Krieger, die Angst der Menschen in diesem Gebiet. Du hättest ihn damals nicht retten dürfen!«
»Dann lebten wir auch nicht mehr!« Perthes ging zum Haus zurück und stieß auf der Veranda zu Herrn von Barthey, der bereits seine Sachen zusammenpackte.
»Keine Stunde bleibe ich in dieser Hölle!« rief er. »Man hatte recht in Bogota: Hier leben keine Menschen, hier leben Teufel!« Keuchend lehnte er sich an die Wand. »Haben Sie das gesehen, Dr. Perthes? Der Kopf eines Weißen! Grauenhaft!«
»Sapolàna hat davon eine ganze Sammlung.«
»Und so ein Untier retten Sie vom Tod? Ich hätte ihm noch Gift in die Adern gespritzt!«
»Das meinte Fernando auch. Aber ich bin Arzt. Ich bin zu ihm gerufen worden. Wir sehen nicht darauf, wer unser Patient ist. Wir heilen Heilige genauso wie Sünder und Mörder! Wir kennen da keinen Unterschied … Für uns ist jeder Kranke nur ein Mensch, ohne Namen, ohne Rang, ohne das Schuldbuch seines Lebens! Er kommt zu uns in seiner Not, und wir nehmen sie ihm, wenn wir die Kraft und die Mittel dazu haben. Ein Mörder, Herr von Barthey, empfindet genauso Schmerzen wie ein Bankier, um einmal diesen Vergleich zu gebrauchen. Sein Vertrauen zu unserem ärztlichen Ethos verpflichtet uns, ihm zu helfen. Wie der Priester seine Absolution erteilt, den Gerechten und Ungerechten, das Geheimnis jener Seelen in seiner eigenen Seele vergräbt, so stehen wir am Bett eines jeden Kranken und tun die Pflicht, die uns Gott auferlegte.«
»Und der Geheilte, der Ihnen Verpflichtete, warnt Sie dann mit einem weißen Schrumpfkopf, sein Land nicht zu verlassen! Eine billige Logik – meinen Sie nicht?«
Der Bankier packte erregt weiter. »Ich bleibe nicht eine Stunde länger! Ich bewundere Ihren Mut, Dr. Perthes, und noch mehr bewundere ich Ihre reine, idealistische ärztliche Berufsmoral – aber ich glaube, daß sie in diesem Fall übersteigert ist!«
Peter schwieg. Er ging ins Haus und packte in eine Tropenkiste aus Leichtmetall die bisher gewonnenen Präparate, den Blutkuchen aus konzentriertem Gift, seine Tagebücher und die genauen Arbeitsangaben seiner Versuche. Er schrieb noch auf der kleinen Kofferschreibmaschine seine Ansichten über die Fortentwicklung des Serums nieder und gab theoretische Anweisungen zur Erforschung einer Giftart, die eine Suffusion verursacht, den Blutaustritt unter die Haut.
Wolf von Barthey trat in das Zimmer. Draußen warteten schon vier Träger, die Dr. Cartogeno in aller Eile gemietet hatte.
»Sie kommen nicht mit?« fragte der Bankier kurz.
»Heute nicht.« Peter erhob sich und überreichte dem Bankier die blinkende Kiste und den dicken Brief. »Wenn ich mit Ihnen fahren würde, so würde das meinen und höchstwahrscheinlich auch Ihren Tod bedeuten. Sie allein kommen durch – meine Reise wird eine weniger gemütliche sein. Auf jeden Fall treffen wir uns im Hafen von Buenaventura, vielleicht auch noch in Bogota. Und geben sie acht auf die Kiste und auf dieses Schreiben. Mit dem Inhalt der Kiste können Sie halb Deutschland vergiften, in dem Brief ist der Grundstock Ihrer chemischen Fabrik
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