Wir sind nur Menschen
über die Lippen. Peter deutete es gottlob als Erschütterung. »Ja, so ist es. Dr. Bender ist irgendwo untergetaucht …«
»Angela untergetaucht?« Peter sprang aus seinem Rollstuhl auf und schwankte an den Tisch. »Sie hat Köln ganz verlassen? So liebte sie mich …« Und leiser: »Ich war schlecht zu ihr, so schlecht …«
Mit offenem Mund starrte Dr. Cartogeno den Freund an. Blässe, Entsetzen im Gesicht, dachte er: Er ist aufgesprungen! Er ist doch ein paar Schritte gegangen! Die Beine! Mein Gott, Peters Beine – sie tragen ihn wieder. Er kann gehen … Die Beine …
Ein Aufschrei Dr. Cartogenos ließ Peter herumfahren. Er sah die ausgestreckte Hand Fernandos, sah den Zeigefinger zitternd auf seine Beine gerichtet … sah die starren Augen … Dr. Perthes blickte an sich hinunter. Tastend ging er ein paar Schritte. Die Beine bewegten sich! Die Beine trugen ihn … Und er begriff das Wunder – es überfiel ihn wie ein Schlag. Es schmetterte ihn zu Boden. Mit einem Aufschrei warf er die Arme empor und sank vornüber. »Fernando!« schrie er. »Fernando … ich … gehe …« Dann fiel er zu Boden und schüttelte sich wie im Krampf.
Doch ehe der Kolumbianer und der Bankier bei ihm waren, kniete er schon wieder und stand langsam, zitternd auf. Frei stand er jetzt im Zimmer, die Arme weit ausgebreitet. Vorsichtig setzte er die Füße … Fuß nach Fuß … Er ging … ging dreimal durch den Raum … ein wenig schwankend noch, unsicher, hinkend … aber er ging mit seinen Beinen …
Dr. Cartogeno stürzten die Tränen übers Gesicht. Auch der Bankier wandte sich ab und mußte sich die Nase putzen. Er verließ das Zimmer. Dann stand er auf der Veranda und blickte über den Fluß.
»Das Serum, Fernando …« Peter ging auf Cartogeno zu, der ihn stumm umarmte. »Das Serum hat geholfen. Das anonyme Mittel aus Deutschland … aus Erlangen!« Und plötzlich fiel sein Kopf an Dr. Cartogenos Schulter, und Schluchzen durchzitterte den Körper. »Ich kann es noch nicht fassen, Fernando, sag mir, daß ich träume. Sag mir doch, daß ich wieder laufen kann … Ich glaube es nicht … ich kann es nicht glauben! Sag es mir …«
»Du bist gesund, Peter.« Der Kolumbianer drückte den deutschen Freund an sich. »Du kannst wieder gehen! Hörst du – gehen … gehen …«
»Ja, Fernando, ja.« Peter umklammerte die Schultern seines Freundes. »Und ich werde meine Beine gebrauchen, um den Mann zu suchen, der mir das Serum geschickt hat. Ich werde gehen, wenn es sein muß, rund um die Erde …« Er richtete sich auf und schrie: »Ich fahre nach Deutschland! Ich fahre nach Deutschland!«
Weithin gellte es durch den Garten.
Draußen stand der Bankier von Barthey aus Köln und faltete die Hände. Er konnte sich nicht besinnen, wann er das letztemal gebetet hatte …
XIV
Die plötzliche Heilung des weißen Zauberers wurde in den Urwäldern Kolumbiens rasch bekannt. Tag und Nacht dröhnten die Baumtrommeln und riefen das Wunder in alle Winde. Die Taràpas starrten auf ihre Arme, viele hatten Narben, aufgequollen und groß. Sie waren stolz darauf und verachteten diejenigen, bei denen die Impfung keine Zeichen hinterlassen hatte. Ihre Freude war groß, daß er seine Beine von den Göttern wiedergeschenkt bekommen hatte. Vier Tage lang loderten die Feuer an den geheimen Lagerplätzen mitten im Urwald.
Dann dröhnte aber die Trommel Sapolànas. Und der Kreis schloß sich wieder um Peter Perthes.
Er durfte Zapuare nicht verlassen.
Die Medizinmänner umtanzten die Fetischsäulen. Ihre wunderlich bemalten Körper glänzten im Feuerschein.
Einmal, in der Nacht, ließ der alte Sapolàna vor Peters Haus den mit Muscheln und Tukanfedern geschmückten Balg eines riesenhaften Trompetervogels legen.
Ein Symbol des besiegten Dämons.
Aber der Ring wurde immer enger. Selbst der Bankier merkte es, als er mit Peter und Cartogeno den Rio Guaviare hinabfuhr, um sich das Tor zu den unerforschten Wäldern zeigen zu lassen, die Mündung des Cuno Supari.
Wo auch immer sie anlegten, überall staken in den Uferbäumen die langen, gefiederten Pfeile – die roten Pfeile! Sie warnten stumm. Im Holz der Bäume zitterten sie leicht.
Von Barthey sah sie mit Grausen und wandte sich an Peter: »Ich fahre wohl doch lieber allein nach Deutschland zurück«, sagte er leise. »Ich möchte ja nicht Ihr Leben in Gefahr bringen. Kommen Sie nach, wenn man Sie fahren läßt.«
Peter schüttelte nur den Kopf und schwieg. Er riß die Pfeile aus den Bäumen
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