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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
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kam gestern ungefähr eine halbe Stunde, nachdem ich aufgehört hatte zu schreiben, nach Hause. Sie wollte es Meredith lieber nicht am Telefon sagen.
    Onkel Emmett war schon tot, als sie im Krankenhaus ankamen. Sie sagte, die Ärzte hätten alles getan, um ihn wiederzubeleben, doch die Kugel hätte ihn ins Herz getroffen. Er hätte keine Chance gehabt.
    Aber das stimmt nicht. Wäre er nicht zum Hafen gefahren und hätte er den Soldaten nicht geschubst, dann wäre er auch nicht erschossen worden. Es ist ja so dumm. Es hätte einfach nicht passieren dürfen.
    Er hat sich solche Sorgen um Meredith gemacht, und jetzt ist er nicht mehr da und hat sie ganz allein zurückgelassen.
    Ist es schlimm, dass mein Bedürfnis, ihn zu schlagen, genauso groß ist wie das zu weinen?
    Jedes Mal, wenn der Fußboden knarrt, denke ich, dass er jetzt ins Zimmer kommt, um Meredith abzuholen. Doch ich werde ihn nie wiedersehen. Er ist tot. Wegen einer einzigen idiotischen Entscheidung.
    Jetzt fange ich an, die Seiten vollzuheulen. Ich sollte besser aufhören.

1. Oktober
    Heute Morgen sind Meredith, Drew und ich rüber zu Onkel Emmetts Haus gefahren, um Merediths Sachen zu holen. Mom meinte, sie würde das nicht schaffen. Sie hat in den letzten Tagen viel mehr Zeit in ihrem Schlafzimmer verbracht als sonst, und wenn sie mal herauskommt, sind ihre Augen immer ein bisschen rot.
    Als wir ankamen, blieb Meredith einfach wie benommen mitten in ihrem Zimmer stehen. Also habe ich die Klamotten rausgesucht, von denen ich dachte, dass sie sie am liebsten mag, und außerdem ein paar Bücher und Spielsachen. Dann habe ich sie in den Arm genommen, und sie fing mit hastigen kurzen Schluchzern an zu weinen. Ich strich ihr über den Rücken und sagte die Dinge, die du sagen würdest, Leo, wenn es nichts gibt, was die Sache irgendwie besser machen kann. Dabei hatte ich die ganze Zeit einen Kloß im Hals und musste schwer dagegen ankämpfen, nicht selbst loszuheulen.
    Nachdem sie aufgehört hatte, kam Drew mit einem Fernglas die Treppe hinauf, und wir sahen gemeinsam aus dem Fenster.
    »Hey, seht mal da!«, rief er und zeigte nach unten. Auf der Landzunge ein klein wenig südlich vom Haus waren ein paar Gestalten in unförmigen Anzügen gerade dabei, irgendeine kastenförmige Vorrichtung am Wasser abzustellen. Sie verschwanden aus unserem Blickfeld und kamen dann, jeder von ihnen mit weiteren Metallkästen, wieder zurück. Wir beobachteten sie eine Weile, reichten das Fernglas herum, doch keiner von uns konnte sich einen Reim darauf machen, was sie da trieben. Ich richtete stattdessen den Blick aufs Festland.
    Selbst mit dem Fernglas war nicht viel zu sehen, aber ich meinte ein paar Leute zu erkennen, die sich drüben am Hafen hin- und herbewegten. Zwischen uns und ihnen lagen einige Patrouillenboote im Wasser und hielten Ausschau nach Quarantänebrechern.
    Die Fähre ist nicht noch einmal zurückgekommen. Dad hat gesagt, die Regierung würde versuchen, etwas anderes zu organisieren, man sei der Meinung, die Lieferung von Waren in den Hafen »heize die Stimmung zu sehr an«. Es kommt einem vor, als würden sie uns bestrafen. Als wäre es nicht schon Strafe genug, dass sie auf Menschen schießen. Onkel Emmett ist zwar der Einzige, der gestorben ist, aber noch eine Frau und ein älterer Mann sind verletzt worden. Ob die Soldaten wohl wegen Mord und Körperverletzung bestraft werden? Oder wird die Armee behaupten, die Schüsse seien gerechtfertigt gewesen, Notwehr also?
    Unter den jetzigen Umständen bezweifle ich, dass sie uns das jemals sagen werden.
    Drew musste wohl auch gerade an den Tag gedacht haben, denn er blickte auf einmal ganz düster drein und sagte: »Hätte Onkel Emmett mir doch bloß früher von der Demo erzählt. Dann hätte ich mit ihm reden können.«
    »Glaubst du ehrlich, du hättest es geschafft, ihn umzustimmen?«, fragte ich und ließ das Fernglas sinken. »Er hat ja noch nicht mal auf Mom gehört.«
    »Ich hätte ihm auch nicht vorgeschlagen, überhaupt nicht zu protestieren«, antwortete Drew. »Ich hätte ihm bloß klargemacht, dass es da bessere Methoden gibt. Die Regierung hatte sowieso nie vor, einzulenken und wegen ein paar brüllenden Inselbewohnern die Quarantäne aufzuheben – die auf dem Festland hätten die Krise gekriegt. Aber alle, die wegwollten, hätten fordern können, dass sie eine Möglichkeit schaffen, die Gesunden von hier fortzubringen, so wie sie es uns anfangs versprochen hatten. Wenn wir die Medien mit

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