Wir sind verbannt (German Edition)
Krankenhaus fahren. Ich hätte ihn gern begleitet, doch ich wollte Meredith nicht alleine lassen – und so, wie die Sache jetzt steht, kann ich den Gedanken nicht ertragen, sie mit in die Klinik zu nehmen.
Also stellte ich stattdessen ihren Lieblingsfilm Die kleine Meerjungfrau an, und gerade als wir ihn zur Hälfte angeschaut hatten, klingelte es an der Haustür.
Ich vermutete, entweder Drew oder Dad hätte seinen Haustürschlüssel vergessen; denn bisher hatten wir normalerweise nie abgeschlossen. Ich war mir so sicher und vermutlich auch ein bisschen neben der Spur, dass ich einfach die Tür aufmachte, ohne zu prüfen, wer es war.
Da stand Gav. Mit vornübergebeugten Schultern, als wüsste er nicht genau, ob er willkommen ist. Ich starrte ihn an und er mich, dann richtete er sich auf und zeigte mir wieder dieses typische Lächeln.
»Kein Verhör diesmal?«, fragte er.
»Hi«, begrüßte ich ihn. »Ich …« Dann verstummte ich, denn mir fehlten die Worte. Es schien, als kämen die ganzen Mauern, die ich aufgebaut hatte, um mich vorm Zusammenbrechen zu schützen, auch meiner Denkfähigkeit in die Quere. Mein Hirn schaltete einfach auf Autopilot.
»Komm rein«, sagte ich.
Er trat ein und schloss die Tür hinter sich. »Geht es dir gut?«, fragte er.
»Klar«, erwiderte ich. »Was gibt’s?«
»Ich hatte doch versprochen, dir ein paar von den Selbstverteidigungstechniken zu zeigen«, antwortete er. »Falls es dir jetzt vielleicht passt?«
»Klar«, sagte ich noch einmal. Ich sah im Moment keinen richtigen Sinn darin. Doch ich hatte gesagt, ich wollte es machen; also würde ich es schon irgendwie hinter mich bringen, kein Problem.
Dann blickte er sich um und stellte fest: »Das Haus ist ja so still heute.« Was mich daran erinnerte, wie sehr ich mir in den letzten Tagen gewünscht hatte, dass Mom einfach still wäre, und jetzt war sie es, weil sie gar nicht mehr da war, und dass sie wahrscheinlich nie mehr wieder zurückkommen würde. Zum ersten Mal erlaubte ich mir, überhaupt so weit zu denken, und bevor ich es verhindern konnte, brach dieser Schluchzer aus meiner Kehle hervor. Ich sank zusammen, schlang die Arme um den Kopf und drückte mein Gesicht auf die Knie, als könnte ich die Fassung behalten, wenn ich nur fest genug presste. Doch ich hatte sie schon verloren. Es strömte einfach alles aus mir heraus. Tränen, Rotze, ich will lieber gar nicht wissen, wie ich mich dabei anhörte.
Kurz darauf spürte ich einen Druck auf dem Arm und einen Moment später realisierte ich, dass Gavs Hand auf meiner Schulter lag. Wie ein Anker, der mir wieder Halt gab. Ich hatte Boden unter den Füßen und eine Wand im Rücken. Ich befand mich zu Hause. Und ich war nicht allein.
Der Ärmel meines Pullis war klatschnass. Ich wischte mir übers Gesicht und dann über die Jeans, die ebenfalls ziemlich feucht war. Gav zog seine Hand wieder zurück, doch ich spürte, dass er immer noch vor mir hockte. Ich mochte ihn gar nicht ansehen.
»Entschuldige«, sagte ich. »Mein Dad musste meine Mom gestern ins Krankenhaus bringen.«
Er lachte irgendwie gepresst und sagte: »Warum entschuldigst du dich denn? Mir tut es leid. Ich hätte merken müssen, dass etwas nicht stimmt. Warum solltest du Selbstverteidigung üben wollen, wenn du gerade mit so etwas zu kämpfen hast?«
Er rührte sich jedoch nicht von der Stelle und sagte auch nichts mehr, deshalb hob ich einen Augenblick später den Kopf. Er sah mich an, nervös und besorgt zugleich. Als sei ich ein Fuchs mit dem Bein in einer Falle und es bestünde die Gefahr, dass ich ihn beiße, wenn er versuchte, mir zu helfen. Verrückterweise erinnere ich mich noch, dass mir auffiel, dass seine Augen irgendwie grün waren, obwohl ich sie braun in Erinnerung gehabt hatte. Aber vielleicht lag das auch bloß daran, dass er heute ein grünes T-Shirt trug. Dann begann er wieder zu sprechen.
»Meine Mom ist auch krank«, sagte er. »Und mein Dad sicher bald ebenfalls, wenn man bedenkt, dass sie immer noch zusammen im selben Bett schlafen. Ich wohne jetzt bei Warren. Meine größte Sorge ist, dass er es auch kriegt. Er ist als Kind ziemlich häufig krank gewesen.«
»Pass auf, dass er eine von den Schutzmasken aufhat, die ich euch gegeben habe, wenn er mit dem Lieferwagen unterwegs ist«, sagte ich. »Und du auch. Wenn du willst, kann ich dir auch noch Handschuhe geben. Mein Dad trägt im Krankenhaus und wenn er sich um meine Mom kümmert immer Schutzkleidung, und er ist noch
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