Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
materialistischen Industriewelt und einem idyllisch-natürlichen Leben in Entwicklungsländern, den der Regisseur hier zeichnet, simplifiziert. Armut, fehlende medizinische Versorgung und schlechte Schulen, wie man sie in vielen Teilen Afrikas und Asiens findet, wird man keinem Kind wünschen. Auf der anderen Seite ist die Frage berechtigt: Nehmen heute in Ländern wie Japan und Deutschland materielle Objekte nicht einen zu großen Raum im Leben von Kindern und Jugendlichen ein? Und weitergehend: Wie viele Sachen brauchen Menschen generell, um glücklich und zufrieden zu sein? Psychologen und andere Wissenschaftler haben sich mit diesen Themen eingehend befasst. Ihre Erkenntnisse sollen in einem späteren Kapitel diskutiert werden. Denn zunächst muss ich von einem faszinierenden Buch erzählen.
KAPITEL 4
Sachen für Erwachsene: Die Liebe zählt – und der Sportwagen
W enn man ein Buch wie dieses schreibt und anderen davon erzählt, hat das eine verblüffende Wirkung. Plötzlich kann man auf zahlreiche Mitarbeiter zählen. Freunde, Verwandte und Kollegen berichten über eigene Erfahrungen. Man bekommt Zeitungsartikel, Filme und Organisationen empfohlen, die für das Thema relevant sein könnten. Es ist einer der befriedigendsten Aspekte des Bücherschreibens: Man lernt Details über nahe stehende Menschen, die man bislang nicht kannte, über die man vielleicht niemals gesprochen hätte, und jeder freut sich, wenn man einen Hinweis auf ein interessantes Buch oder einen faszinierenden Menschen weiter verfolgt.
Ein paar Wochen, nachdem ich mit der Recherche zur Psychologie der Dinge begonnen hatte, erzählte mir eine Freundin von einer Buchrezension, die sie gerade im Radio gehört hatte und die für mein Projekt hilfreich sein könnte. Sie könne sich nicht mehr genau an den Namen der Autorin erinnern, entschuldigte sich Sandra, aber ihre Idee sei faszinierend: die Geschichte einer gescheiterten Liebe anhand eines Auktionskataloges zu erzählen. So richtig konnte ich mir das nicht vorstellen, und wir kamen dann auch auf ein anderes Thema zu sprechen. Aber nach unserem Gespräch machte ich mich auf die Suche nach mehr Informationen.
Es war nicht schwierig, das Buch im Internet zu finden. Das Cover, das bei Amazon abgebildet war, sah in der Tat wie ein Auktionskatalog aus: ein quadratisches Format, darauf die Abbildung zweier Pudelfiguren, im oberen Teil der Titel Bedeutende Objekte und persönliche Besitztümer aus der Sammlung von Lenore Doolan und Harold Morris. Darunter Bücher, Mode und Schmuck , weiter unten detaillierte Angaben zu Ort und Zeit der Versteigerung. Am folgenden Samstag lag das Buch in meinem Briefkasten, und ich verbrachte einen vergnüglichen Nachmittag damit zu, es von der ersten bis zur letzten Seite durchzublättern. Seitdem gehört es zu meinen Lieblingsbüchern über Dinge.
Sandras Beschreibung war ziemlich präzise. Das Buch erzählt die – fiktive – Geschichte einer gescheiterten Liebe anhand eines Auktionskataloges. Auf rund 130 Seiten sind vielerlei unterschiedliche Gegenstände abgebildet: Kleidungsstücke, Poster, Bücher, Küchenutensilien, Fotos, Notizen. Es sind Erinnerungsstücke aus der Beziehung zwischen der 26 -jährigen Lenore, einer Journalistin, die für die New York Times eine Kolumne über Kuchen schreibt, und dem freischaffenden Fotografen Harold (Hal). Das Verblüffende: Die Story ist außerordentlich detailliert und vielschichtig. Man erfährt, wie sich die beiden Protagonisten auf einer Halloween-Party kennenlernen, was sie zueinander treibt und ein gemeinsames Leben beginnen lässt, durch welche Höhen und Tiefen sie in der Beziehung gehen und warum sie sich nach vier Jahren trennen. Wohlgemerkt: Das Buch enthält nur Fotos von Gegenständen, die mit Kommentaren in einem nüchternen Ton versehen sind, wie sie in Aktionskatalogen üblich sind.
Leanne Shapton, die Autorin, versteht das Buch als Reflexion über die materiellen »Rückstände der Liebe«, wie sie im Interview mit einer amerikanischen Zeitung erklärte: »Es geht darum, was wir alles mit Liebe durchtränken, die Bedeutung, die wir gänzlich bedeutungslosen Dingen beimessen.« In der Tat enthält der Katalog zahlreiche Objekte, die niemand bei einer realen Versteigerung kaufen würde: alte Kinotickets, eine handgeschriebene Speisekarte für ein privates Valentine-Dinner, verwackelte Fotos aus Passbildautomaten, abgerissene Notizzettel mit kleinen Liebeserklärungen. Diese Dinge haben keinen
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