Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
monetären Wert, sondern sind nur wertvoll für die beiden Menschen, die die Geschichte – ihre Geschichte – dahinter kennen. Doch die tieferen Fragen, die Shapton verfolgt, sind für jeden interessant: Wenn Liebe von Gegenständen Besitz ergreift und dann verschwindet, was bleibt übrig, und wie fühlen sich die Eigentümer damit? Welche Sachen werden so schnell wie möglich entsorgt? Welche kann man partout nicht wegwerfen und nimmt sie sogar in eine neue Beziehung mit? Sie sei von der Idee fasziniert, so die Autorin, dass Gegenstände von Geistern besetzt sein können, von Geistern der Vergangenheit: »Ich wollte mit der Vorstellung spielen, dass in leblosen Objekten zahlreiche verborgene Geschichten stecken.«
Das ist der Amerikanerin glänzend gelungen. Die von ihr ausgewählten Gegenstände lassen die Liebenden und ihre Beziehung außerordentlich lebendig werden, besser als es mancher Roman schafft. Am Anfang der Beziehung scheinen beide völlig fasziniert voneinander gewesen zu sein. Die zahlreichen Postkarten, die Hal von seinen Fotoshootings in der ganzen Welt an seine neue Freundin schrieb, dokumentieren die Tiefe seiner Gefühle. Lenore erscheint als eine bis über beide Ohren verliebte Frau: Auf einer Seite sind Leinenservietten abgebildet, die von ihr in unbeholfenen Stichen mit Herzen und den Initialen des Paares bestickt wurden. Man sieht zwei Paar Holz-Clogs im Partnerlook; einen silbernen Tortenheber mit der Inschrift »Bravo Buttertörtchen«, mit dem Hal seiner Liebsten zum neuen Job gratuliert hat; Babykleider, von Lenore – sicher nicht ohne Hintergedanken – in einem Second-Hand-Shop gekauft.
Die beiden scheinen auf dem Weg in eine ernsthafte und beglückende Beziehung gewesen zu sein. Doch dann sieht man eine Kollektion von Speisekarten eines chinesischen Lieferservices, auf denen die immer gleichen Gerichte angekreuzt sind. Man fragt sich: Hat der Alltag sie eingeholt? Verbringen sie den Abend jetzt lieber auf dem heimischen Sofa, statt wie früher ins Theater und in Restaurants zu gehen? Auch die Tasse mit dem abgebrochenen Henkel ist kein gutes Zeichen. Auf einem daneben abgebildeten Notizzettel steht in Lenores Handschrift: »H, tut mir so leid, ich weiß, das war Deine Lieblingstasse. Ich lasse sie reparieren, versprochen.« Ein Versprechen, das sie offenbar nicht eingelöst hat. Er schenkt ihr dafür eine Sonnenbrille, die mal einer Ex-Freundin von ihm gehörte. Man bezweifelt, dass sie seine schriftliche Entschuldigung für diesen Fauxpas (»Tut mir leid, dass Du sauer warst. Hab ich total vergessen! Aber sie steht Dir besser als ihr!«) angenommen hat. Lenores Kalender mit einem Termin beim Paartherapeuten, Fotos von Hal mit fremden Frauen – die Zeichen der Auflösung mehren sich. Die Abbildung eines Weckers, der aussieht, als wäre er mit einem Hammer zertrümmert worden, deutet an, dass es zwischen den beiden zu einer Auseinandersetzung gekommen ist. Dann sieht man Fotos von Hal allein auf einer langen Indienreise und von Lenore im Urlaub mit einer Gruppe von Freunden. Ganz am Ende: eine Zeitungsseite mit Wohnungsanzeigen für Einzimmerapartments, auf denen einzelne Angebote angestrichen sind.
Der größte Schatz: geliebte Menschen
Tragfähige, dauerhafte Beziehungen zu anderen aufzubauen, ist in Eriksons Stufenmodell die Aufgabe im jungen Erwachsenenalter. Die wichtigste Frage lautet: Werde ich geliebt? Die Identitätssuche in der Jugend ist eine egozentrische Zeit. Doch etwa ab dem zwanzigsten Lebensjahr, wenn sich das Selbstbild gefestigt hat, geht es darum, die Perspektive zu weiten und sich für Liebe und Partnerschaft zu öffnen. Auch Jugendliche haben schon Liebeleien, doch eine »erwachsene« Beziehung ist in der Regel von anderer Qualität. Jetzt muss man lernen, den »richtigen« Partner für sich zu finden, Intimität zuzulassen, gemeinsame Visionen zu entwickeln, Kompromisse einzugehen und die eigenen Wünsche und Vorstellungen auch mal zurückzustellen.
Der neue Lebensabschnitt lässt auch die Beziehung zu Dingen nicht unberührt. Zu den größten Schätzen gehören nun die Sachen, die etwas mit einem geliebten Menschen zu tun haben. Fotos von Freund oder Freundin können ein kribbeliges Gefühl auslösen, so als habe man Schmetterlinge im Bauch. Postkarten, Briefe, selbst kleine Notizen, die der Geliebte geschrieben hat, sind plötzlich so wertvoll, als wären sie aus Gold. Möglicherweise bringt man auch Stunden damit zu, sich Geschenke für den anderen
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