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Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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plötzlich überall und sie haben Ottos Nest in der Schönsteinstraße ausgehoben. Sie haben alle nach Brauweiler befördert.«
    »Und Bastian? Was ist mit ihm?«, fragte Paul schließlich.
    »Ich weiß nur, dass er unter den Verhafteten ist. Das habe ich übrigens von Karlu. Die Stadt ist voll von Gerüchten ...«
    Franzi stand plötzlich in der Tür. Sie war außer Atem und sah so aus, als wüsste auch sie die schlimmen Neuigkeiten.
    »Ihr müsst weg«, sagte sie. »Am besten sofort.«
    Paul sah zu Fatz hinüber. Der schüttelte kaum merklich und stumm den Kopf.
    »Nein«, sagte auch Paul. »Wir bleiben hier.«
    Franzi schlang die Arme um Pauls Hals und küsste ihn lange. Er spürte, wie sie ihre Hand auf seine Brust schob, unter das Hemd. Er spürte ihre Finger. Ihren Atem, ihre Lippen. Und dann ihre Tränen.
    Zwischen ihnen gab es seit Bastians Verschwinden eine stille Übereinkunft. Sie sprachen nicht mehr über das Hierbleiben oder das Weggehen und machten keine Pläne über den Tag hinaus. Sie liebten sich heute und das genügte.
    Paul brachte aus der Stadt Handzettel mit, die Flakhelfer an durchziehende Soldaten verteilt hatten und von einigen unbeachtet in den Straßenstaub geworfen worden waren.
    DEUTSCHE SOLDATEN!
    Ihr befindet euch in einem Grenzgau voll gläubiger Menschen, die auch Bombenteppiche kennengelernt und tapfer überwunden haben.
    Verderbt Stimmung und Haltung nicht durch Weitergabe von Gerüchten und übertriebenen Erlebnisschilderungen.
    Wägt jedes Wort ab.
    Feind hört mit!
    An den Litfaßsäulen las er:
    Für das deutsche Volk
    ARTIKEL 1
    Alles kann in diesem Krieg möglich sein, nur nicht, dass wir jemals kapitulieren ...!
    Für Paul waren das Anzeichen dafür, dass es jetzt nicht mehr lange dauern konnte und dann wären die Amerikaner in der Stadt. Er wusste aber auch, dass es jetzt gefährlich wurde, für alle, die in der Stadt geblieben waren, und für die, die sich in den Händen der Nazis befanden. Verbrannte Erde und kurze Prozesse: Das ist es, was uns bevorsteht, dachte Paul. Die Nazis würden keinen Stein auf dem anderen lassen und keine Gefangenen mitnehmen. Aachen hatte am 21. Oktober kapituliert. Die Amerikaner kämpften im Huertgenwald, 80 Kilometer westlich vom Kölner Hauptbahnhof entfernt.
    Das alles sprach sich herum. Paul musste herausfinden, welche Pläne Ziegen hatte.
    Ende Oktober gab es tagelange Luftangriffe. Nach der dritten Angriffswelle waren die Überlebenden und Unverletzten mit den Nerven am Ende. Jenseits von Gut und Böse, dachte Paul. Es war wirklich so, dass man allmählich jedes Gefühl für irgendetwas verlor. Der ständige Krieg machte auch ihn langsam mürbe.
    Das merkte man auch in der Gärtnerei bei der Suppe. Alle löffelten stumm. Und kam ein Bombenangriff, zog man zunächst gleichgültig die Schultern hoch. Irgendwann erhoben sie sich meist doch und gingen in Deckung.
    Tausende verließen die Stadt. Die, die dageblieben waren, gruben sich immer tiefer in sich selbst ein.
    Lagusch bat Paul, vier Särge zu holen und mit ihm zu einem guten Bekannten zu fahren, der in den Bomben seine Frau, zwei Söhne und seinen alten Vater verloren hatte. Auf dem Hof stand eine Zinkwanne. Darin lag alles, was übrig geblieben war: von der Frau, von den Söhnen, dem Vater und den vierzehn anderen Hausbewohnern. Lagusch lud wortlos die Särge ab und sie fuhren davon.
    Die Mülheimer Brücke war zerstört, die Hindenburgbrücke war schwer beschädigt. Nur die Eisenbahn rollte noch über die Hohenzollernbrücke. Wenn keine Bomben fielen, dröhnte der Geschützlärm aus Nordwest herüber.
    Ziegen hatte Peter König zu sich befohlen und stapelte Akten, als die beiden Gestapomänner ihn ablieferten.
    »Setz dich, Peter«, sagte Ziegen. Er wies auf einen Stuhl am Fenster. »Wir haben uns ja eine Weile nicht gesehen.« Er schraubte eine Thermoskanne auf und goss Kaffee in zwei Becher. Einen reichte er Paul.
    »Wie du siehst, räumen wir auf.« Ziegen machte eine ausholende Handbewegung. Dann lachte er schallend. »Ja, wir haben ziemlich aufgeräumt.«
    Paul schwieg und schlürfte den Kaffee. Er war süß und stark. Der beste seit Langem.
    »Wir haben diesen Otto und seine Bande. Und auch Sebastian Frei ist unser Gast in Brauweiler. Noch ein paar Formalitäten und ich lege den Vorgang zu den Akten.« Ziegen sah ihn aus kleinen Augen an. Plötzlich fuhr sein Kopf in die Höhe. »Stern«, sagte er. »P. Stern. Kannst du dich erinnern? Der Tag, als dich deine Tante Martha

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