Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
haben sie eine ganze Gruppe hochgenommen. Dreiundzwanzig Edelweißpiraten. Die sitzen in Brauweiler, weil das EL-DE- Haus überfüllt war. In Niehl haben sie auch geschossen. ›Die Nacht der langen Messer‹, so hat es ein SS-Mann genannt.«
»Sie lassen die Leute jetzt wieder frei. Nicht alle auf einmal«, erklärte Fatz. »Aber das wisst ihr ja besser. Wir hatten Glück. Wir waren am Takubunker, als sie kamen. Und diesmal war keine HJ -Streife dabei. Nur Gestapo und SD. Wir konnten abhauen. Aber es war verflucht knapp. Du siehst richtig verhauen aus, Bastian.«
»Ging mir schon mal besser«, knurrte Bastian. »Aber eigentlich begreife ich es immer noch nicht. Die haben auf uns gewartet. Die wussten, dass wir den Transport überfallen wollten.«
»Und nicht nur das«, sagte Hotte ernst. »Die haben auf uns geschossen. Haben versucht, uns abzuknallen wie die Karnickel. Entweder hat ihnen jemand verraten, dass wir kommen. Aber wer sollte uns denen ans Messer liefern? Oder sie haben einfach nur gewartet, ob wir noch mal dort auftauchen. Schließlich war es ja nicht das erste Mal. Ich glaube, sie wussten gar nicht, dass wir genau an diesem Tag den Transport überfallen wollten.«
DIE
MELODIE
ERFÜLLTE die kleine, verdunkelte Hütte. Bastian konnte sich nur zu gut daran erinnern. Königswinter 1942. Franzi summte eines ihrer Fahrtenlieder. Ralle nahm die Gitarre und stimmte ein. Sie sangen leise. Nicht mehr als ein gesungenes Flüstern.
»Jenseits des Tales standen ihre Zelte,
zum roten Abendhimmel stieg der Rauch,
das war ein Singen in dem ganzen Lager ...«
Bastian sah zu Franzi hinüber. Ihre Blicke trafen sich. Er wich ihr aus, beobachtete die tanzenden Schatten an der Wand.
»Ich habe damals nichts falsch gemacht«, sagte Franzi. »Und ich mache heute auch nichts falsch.« Sie schaute Bastian immer noch an und er hätte in ihren Augen versinken mögen.
Franzi lächelte. »Bastian«, sagte sie. »Ein Jahr ist das jetzt her. Eine lange Zeit, verglichen mit einem einzigen Nachmittag.«
Er musste schlucken. Er hätte gerne etwas gesagt. Vielleicht etwas Erwachsenes. Aber seine Kehle war eng und trocken. Er bekam keinen Laut heraus und blinzelte in das gelbe Petroleumlicht.
Franzi sah ihn immer noch an. Sie lächelte.
Verdammt noch mal, dachte Bastian, was soll’s, und er erwiderte tapfer ihr Lächeln. Und auf einmal hatte er das Gefühl, dass es gut war, so wie es jetzt war.
»Ich löse Freddie ab«, sagte er und wunderte sich, woher plötzlich die Worte kamen. Klar, deutlich und ohne ein Zögern.
»Aber ich kann doch auch ...«, begann Paul.
Bastian schnitt ihm das Wort ab. »Bleib nur, Paul. Hör dir die Geschichten über unsere Fahrten an. Sie sind alle wahr. Und wer weiß, vielleicht nehmen wir dich ja mal mit.«
Er ging hinaus und blieb einen Moment stehen, hörte, wie Fatz loslegte, und ging zum Tor, um Wache zu schieben und um vielleicht das eine oder andere zu Ende zu denken.
MIT
LEUCHTENDEN
AUGEN fragte Fatz: »Wisst ihr noch, wie wir im Sommer auf dem Rheindampfer nach Königswinter gefahren sind?«
Paul hörte zu. Er wusste nicht genau, was da gerade zwischen Franzi und Bastian passiert war. Aber er spürte, dass es etwas Bedeutungsvolles war, etwas Wichtiges, etwas Überfälliges.
»Ja, Rheindampfer und Felsensee. Einige von uns hatten Gitarren dabei. Und dann unser Nachtquartier in der Höhle.« Sie alle wussten, dass so eine Fahrt in nächster Zeit nicht infrage kam, aber die Erinnerung an die Treffen, die Gemeinschaft und das unbeschwerte Singen war einfach zu schön. Im Nu sprudelten die Bilder und alle redeten gleichzeitig.
»Wir haben zusammen gesungen bis spät in die Nacht«, schwärmte Franzi.
»Und wir konnten reden, worüber wir wollten.« Auch Hotte war jetzt begeistert. »Alle hatten die gleichen Ziele, den gleichen Sinn.«
»Du hattest mehr Sinn für Unsinn«, sagte Ralle und lachte. »Als du in den See gesprungen bist, haben wir deine Klamotten nur mühsam trocknen können, weil wir kein Lagerfeuer machen durften wegen der Flieger.«
Alle lachten und Hotte musste schmunzeln.
»Erzählt doch mal der Reihe nach«, sagte Paul, »ich war ja nicht dabei.« Sehnsucht erfasste ihn, nach etwas, was er so nie kennengelernt hatte.
»Schon auf dem Rheindampfer haben wir andere Gruppen getroffen, die auch nach Königswinter wollten«, begann Franzi. »Am Felsensee trafen sich dann wohl sechzig von uns. Das Wetter war herrlich, auch nachts war es noch warm und bei Mond-
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